Akademische Gesellschaft Stuttgardia TübingenDie Akademische Gesellschaft Stuttgardia ist eine liberale Studentenverbindung an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Grundsätzliches
Die Geschichte der Stuttgardia seit 1869 zeigt spezifische Beiträge dieser Korporation zur Tübinger Universitätsgeschichte und der Entwicklung des süddeutschen Liberalismus. Ihr Zweck ist die Pflege von Geselligkeit und Freundschaft, und zwar in der Form des Lebensbundes. Weiteren fach- oder interessenbezogenen Werten verschrieb sich die Stuttgardia nicht. Ihr Programm enthält nicht die Wahrung der Ehre und des Ruhmes des Vaterlandes oder die Verwirklichung von konfessionellen, politischen oder weltanschaulichen Vorstellungen. Gründung 1869Gegründet wurde die Stuttgardia am 30. November 1869; damals noch nicht unter diesem Namen, als Freundeskreis von sieben Studenten, unter denen fünf ihr Abitur in Stuttgart absolviert hatten und denen die herkömmlichen Studentenverbindungen nicht zusagten. Am 23. April 1872 nahm der Freundeskreis dann den Namen Stuttgardia an. Mit ihrer Gründung übernahm die Stuttgardia einen Teil des studentischen Brauchtums und der studentischen Kultur, die sich seit dem Spätmittelalter in der Studentenschaft als einer sozialen Gruppe gebildet hatten. Dazu gehört beispielsweise die Kneipe, auf der Unterhaltung, Trinken und Gesang nach einem bestimmten Komment gepflegt werden. Weiter gilt auch in der Stuttgardia das demokratische Konventsprinzip, d. h. der Konvent entscheidet über die Angelegenheiten der Gesellschaft. Andere Teile studentischen Brauchtums wiederum sind bei der Stuttgardia nicht eingeführt worden. Dies galt insbesondere für das Farbentragen sowie das Schlagen von Bestimmungs-Mensuren als Voraussetzung für eine endgültige Mitgliedschaft. Jedoch gab die Gesellschaft Satisfaction; zunächst auf schwere, später auch auf leichte Waffen. Ein weiterer Grundsatz des Korporationswesens, nämlich die Einteilung der Mitglieder in Füxe und Burschen, wurde auch übernommen, doch hatten die vorläufigen Mitglieder, anders als bei anderen Bünden, weitestgehend dieselben Rechte wie aktive Bundesbrüder. Die Gesellschaft etablierte sich alsbald als staatstragende Honoratiorenverbindung. Johannes Haller, seit 1913 Historiker an der Tübinger Universität, meinte in seinen Lebenserinnerungen: „Ungewöhnlich war der Einfluss einiger Tübinger Studentenverbindungen, gegenüber dem der zu Zeiten viel berufene Klüngel der Korps in der preußischen Verwaltung sich harmlos ausnahm. Nach verbreiteter Vorstellung, die mir nicht ganz irrig scheint, muss man, um in Württemberg Minister zu werden, der Tübinger Stuttgardia, um Ministerialrat der Germania angehören. Die Unterrichtsverwaltung teilen sich Normannia und die Königsgesellschaft Roigel“. Kennzeichnend für die Stuttgardia ist, dass sie im Laufe ihrer Geschichte überwiegend liberale Vorstellungen vertrat. Zur politischen Haltung der Stuttgarden notierte Hans Wildermuth: „Vorherrschend war eine nationalliberale Gesinnung, abgesehen von einigen Außenseitern“. Die Nationalliberale Partei, in Württemberg „Deutsche Partei“ genannt, war die Partei des gebildeten und besitzenden Bürgertums. Sie betonte nationale Interessen, trat aber auch für liberale rechtsstaatliche Ideen ein. Ministerpräsident von Weizsäcker gehörte ihr an, Gustav Hauber war ihr stellvertretender Landesvorsitzender. „Es war die Tradition einer ziemlich dünnen Schicht des schwäbischen Bürgertums, die man am besten vielleicht als den ‚Beamtenadel‘ bezeichnen könnte, die im Unterschied zu den mehr kleinbürgerlichen und bäuerlichen Rekrutierungsschichten mancher anderen spezifisch schwäbischen Verbindung betonten Wert legte auf gute gesellschaftliche Formen, die ihren bestimmten Ehrbegriff hatte und, ohne parteipolitisch gefärbt und ohne engherzig zu sein, in ihrer Einstellung zum Staat jene gemäßigte konservativ-liberale Linie einhielt, die sich für die höhere Beamtenschaft einer konstitutionellen Monarchie mit stark demokratischem Einschlag von selbst ergab. Unbedingte Königstreue und nationale Gesinnung, das waren Selbstverständlichkeiten bei uns, die auf dem stillschweigenden gesellschaftlichen Consensus der Schicht, die uns trug, beruhten.“ Der Umgangston der Mitglieder war nicht von einer am Offizierskasinoton orientierten Schnoddrigkeit, sondern von Geist, Witz und Originalität geprägt. Hans Wildermuth schrieb dazu: „Witz stand hoch im Kurs, und rücksichtslos wurde alles, aber auch alles, vor unser lachendes Forum gezerrt, sicher auch Dinge, über die man nicht lachen soll. Es gab nichts, dem wir nicht eine lächerliche Seite abgewannen.“ Auch sich selbst habe man nicht ernst genommen. Dies alles habe im Gesellschaftsleben dem im Bundeslied gepriesenen „Geist der Einigkeit“ starken Abbruch getan, andererseits zu einer inneren Überlegenheit geführt, die vor dem Pathos falscher Propheten bewahrt habe. Nachdem schon jahrelang das Haus des Weinbauers Kocher Stuttgarden Quartier bot, nahm man 1894 die sich bietende Gelegenheit zum Kauf des Österberg-Grundstückes[1] mit Blick auf den Neckar und die Schwäbische Alb wahr. Da man zuerst annahm, das alte Kocherhaus würde noch einige Jahre überdauern, beschloss man den Bau eines repräsentativen Kneiphauses auf dem Westteil des Grundstückes. Es stellte sich aber bereits nach einigen Jahren heraus, dass das alte Wohnhaus marode und nicht mehr sanierbar war. Es war mittlerweile ein beliebter Scherz von Bewohnern, durch geschickte Gewichtsverlagerung das Haus in Schwingungen zu versetzen und Schläfern ein Erdbeben vorzutäuschen. Der Altenverein beschloss daraufhin den Abriss sowohl des Wohnhauses als auch des Kneiphauses und den Neubau eines Verbindungshauses. 1906 wurde dann der Stuttgarter Architekt Richard Dollinger,[2] der auch drei weitere Korporationshäuser in Tübingen baute, mit dem Bau einer Jugendstilvilla beauftragt. Seit seiner Fertigstellung 1909 prägt das Haus der Stuttgardia neben den Häusern des Corps Borussia und des Corps Franconia das östliche Stadtbild Tübingens auf dem Österberg. Möglicherweise war das Österbergrundstück der Gesellschaft auch Schauplatz von Hermann Hesses autobiographischen Erzählungen „Das Presselsche Gartenhaus“ in dem er mit Goethe und Hölderlin laue Tübinger Sommernächte verbrachte. Die Stuttgardia stand mitten im bunten vielgestaltigen Verbindungsleben, das die kleine Universitätsstadt Tübingen vor dem Zweiten Weltkrieg auszeichnete, und das eine heute kaum mehr vorstellbare Bedeutung hatte. Es gab die großen schlagenden Korporationen, die christlichen Bünde, es gab farbentragende Verbindungen und solche ohne Farben, Verbindungen mit reichen und armen, feudalen und proletischen, stark und mäßig trinkenden Mitgliedern. „Das alles sang, ramschte, schrie, focht und trank durcheinander gaßauf und gaßab“. In diesem Treiben versuchte die Stuttgardia mit ihrem betont württembergischen, bürgerlichen, leicht elitären und vor allem witzigen Stil zu bestehen. Stuttgardia im Dritten ReichDie Verfechter des Nationalsozialismus außer- und innerhalb der Stuttgardia traten Anfang der 30er Jahre zunehmend gegen die traditionell liberalen Werte, wie das Nichtfarbentragen, den Verwurf der Mensur, das demokratische Konventsprinzip und gegen die Aufnahme von Juden an. Ab 1933 konnten nur noch sogenannte Arier neu aufgenommen werden, die „nichtarischen“ Mitglieder blieben jedoch noch Bundesbrüder. Ein Führer wurde aufgestellt, der dem Präsidium der Aktivitas und dem Altenverein vorstand; der Konvent wurde hiermit entmachtet. Im Oktober 1933 trat die Stuttgardia dann als „Schwarzes Corps Stuttgardia zu Tübingen“ dem Miltenberger Ring bei. Stuttgardia focht nun auch Bestimmungsmensuren. Die Nachwuchssituation war schlecht und wie für alle Studentenverbindungen gestaltete sich das Gesellschaftsleben äußerst schwierig, da der Führer der Deutschen Studentenschaft auf Gleichschaltung der Korporationen sann und diese in Kameradschaften zusammenfassen wollte. Studenten hatten sich im November 1935 zu entscheiden, ob sie einer Korporation oder dem NS-Studentenbund beitreten wollten. Letzteres brachte entscheidende Vergünstigungen für den Studienverlauf mit sich, sodass den Verbindungen die Verjüngung unmöglich gemacht wurde. Als Konsequenz löste im Oktober 1935 der Miltenberger Ring seine aktiven Verbindungen auf. Eine Woche später tat dies auch das Corps Stuttgardia. Der Altenverein bestand aber fort. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten konnte der Altenverein das Haus am Österberg nicht mehr halten. Es wurde 1937 an die Stadt Tübingen verkauft, die es einer NS-Kameradschaft zur Verfügung stellte. Nach 1938, als sich die Altherrenschaften von Stuttgardia und der Straßburger Burschenschaft Arminia zur Kameradschaft Straßburg zusammengeschlossen hatten, bestand Stuttgardia zumindest mittelbar fort. Im Anschluss an den Frankreichfeldzug wurde in Straßburg eine neue Reichsuniversität aufgebaut, an der mitzuarbeiten auch die ehemaligen Straßburger Korporationen aufgefordert wurden. Die Arminia war hierzu bereit, und nachdem das Haus von der Wehrmacht in Beschlag genommen wurde, zog die Kameradschaft zum Wintersemester 1941/42 nach Straßburg. Die Kameradschaft löste sich nach Einmarsch der alliierten Truppen in Straßburg im Oktober 1944 endgültig auf. Die Haltung der Mitglieder gegenüber dem Nationalsozialismus war äußerst unterschiedlich. Auf der einen Seite gab es entschiedene Nationalsozialisten wie Ludwig Battenberg oder Walter Schick, der von 1940 bis 1944 Leiter der Gestapo in Baden war, auf der anderen Juden und mit Jüdinnen Verheiratete wie dem späteren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Reinhold Maier, Mitglieder der bekennenden Kirche, von denen einer im KZ Dachau starb, und mit Karl Georg Pfleiderer ein Mitglied im Kreise der Hitler-Attentäter um Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Die Stuttgardia nach dem Zweiten WeltkriegDie Restitution 1949 stand unter dem Zeichen der Rückbesinnung und Weiterentwicklung der humanistischen und liberalen Prinzipien von 1869. Der Gesellschaftszweck wurde gegenüber früher, als er sich auf Geselligkeit beschränkte, modifiziert und erweitert. Auch die Aufnahme von Frauen wurde schon vorgeschlagen, fand aber noch keine Mehrheit. Besonders engagierte sich die Stuttgardia im Aufbau und der Konsolidierung des süddeutschen Liberalismus. Wie wichtig für den ersten Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Reinhold Maier die Verwurzelung in der Stuttgardia war, beschreibt Klaus-Jürgen Matz in seiner Habilitationsschrift: „Die meisten von Maiers Freunden, seiner Helfer und Weggefährten und schließlich auch seiner politischen Erben entstammten den Reihen der ‚Stuttgardia‘: Eberhard Wildermuth etwa, der treue Freund, der ihn als württembergischer Wirtschaftsminister aus Berlin so wirksam unterstützte, ihm über mehr als 40 Jahre Ratgeber und Helfer gewesen ist, oder Ulrich Faber, der junge Anwaltskollege in der Kanzlei Löwenstein/Kiefe. Ein Bundesbruder war es auch, der als Ministerialrat im Reichssicherheitshauptamt 1938 den Rat gab, Frau und Kinder außer Landes zu bringen. Die engsten politischen Weggefährten nach 1945, Wolfgang Haußmann, dem Maier so viel, ja recht eigentlich seine politische Karriere überhaupt verdankte, Karl Georg Pfleiderer, der Mitstreiter im Kampf gegen Westintegration und Wiederbewaffnung, und Konrad Wittwer, Maiers rechte Hand in den ersten Jahren seiner Ministerpräsidentschaft, waren ebenfalls Bundesbrüder. Und schließlich überließ Maier sein Erbe jüngeren Mitgliedern der ‚Stuttgardia‘. Sowohl der Nachfolger im Bundestagswahlkreis, Klaus von Mühlen, wie jener im Landtagswahlkreis, Guntram Palm, entstammten dieser Studentenverbindung.“ Nicht zu vergessen Paul Binder, Mitglied des Parlamentarischen Rates, mit dem ein weiterer Stuttgarde Einfluss nahm auf die junge deutsche Demokratie. Die schon 1949 begonnene Diskussion um die Aufnahme von Damen tauchte in regelmäßigen Abständen wieder auf. Fürsprecher aus Aktivitas und Altherrenschaft setzten die Gleichberechtigung dann in den folgenden Jahren langsam durch. Seit Mitte der 70er wurde Frauen das Wohnrecht eingeräumt. Anfang der 80er Jahre übernahmen Frauen Ämter und erhielten mit dem Status „Ständiger Gast“ weitgehend die Rechte der Aktiven und Aufnahme in den Altenverein. 1990 beschloss die Aktivitas die Aufnahme von Damen als Vollmitglieder unter Vorbehalt der Zustimmung des Altenvereins. Diese folgte fünf Monate später. Bekannte MitgliederStaat und Politik
Lehre und Forschung
Wirtschaft
KulturKlaus Mehnert: Journalist, Publizist und Autor (am Ende des ersten Semesters ausgetreten)[3] Jean-Louis Vicomte de Bretizel Rambures: Journalist und Übersetzer Siehe auchLiteratur
WeblinksEinzelnachweise
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