SonettEin Sonett (Plural: Sonette, von lateinisch sonare ‚tönen, klingen‘, sonus ‚Klang, Schall‘ und italienisch sonetto) ist ein Gedicht aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in unterschiedlich lange Strophen eingeteilt sein können. Der Name bedeutet „kleines Tonstück“ (vgl. „Sonate“) und wurde im deutschen Barock als „Klinggedicht“ übersetzt. Aufbau und VariantenDie 14 Zeilen eines Sonetts gliedern sich in der italienischen Originalform in vier kurze Strophen: zwei Quartette und zwei sich daran anschließende Terzette. Die einzelnen Verse (Zeilen) des italienischen Sonetts sind Endecasillabi (Elfsilbler) mit meist weiblicher Kadenz. In der spanischen und portugiesischen Lyrik wurde das Sonett im Ganzen nach italienischem Vorbild übernommen. In der französischen Klassik war das bevorzugte Versmaß der Alexandriner, ein jambischer Sechsheber mit Zäsur in der Mitte, der Dramenvers der französischen Klassik. Diese Form des Sonetts wird nach Pierre de Ronsard auch Ronsard-Sonett genannt. In der deutschen Dichtung der Barockzeit, der ersten Rezeptionsphase des Sonetts, war ebenfalls der Alexandriner dessen bevorzugtes Versmaß. Seit A. W. Schlegel gilt aber, wie in Italien, der jambische Fünfheber als Idealform. Dessen Kadenz kann weiblich (11 Silben) oder männlich (10 Silben) sein und weist folgendes Reimschema auf:
oder
In den beiden Terzetten kamen jedoch zu allen Zeiten viele Varianten vor, beispielsweise
In die englische Literatur hielt das Sonett im 16. Jahrhundert Einzug. Sehr schnell wurde die Form geändert: Auf drei Quartette folgt ein zweizeiliges heroic couplet. Das Versmaß ist wiederum der jambische Fünfheber, seltener mit weiblicher, häufiger mit männlicher Kadenz. Das englische Sonett wird nach dem bedeutendsten Dichter auch als Shakespeare-Sonett oder nach der ersten Blütezeit dieser lyrischen Form als Elisabethanisches Sonett bezeichnet. Sein Reimschema lautet
SonettzyklenOft werden mehrere Sonette zu größeren Zyklen zusammengestellt:
Poetischer InhaltIdeale inhaltliche Strukturierungen sind:
GeschichteBeginn in Italien im 13. JahrhundertDer Ursprung des Sonetts liegt in Italien, in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.[2] Es wurde im Umfeld des staufischen Kaisers Friedrich II. vor 1250 durch die Sizilianische Dichterschule aus der Kanzonenstrophe entwickelt. Vermutlich war der Notar Giacomo da Lentini der „Erfinder“ des Sonetts.[3] Gelegentlich wird auch eine Verwandtschaft mit bestimmten Formen der arabischen Lyrik vermutet. (Arabisch, obwohl im Lauf des 13. Jhs. sukzessive zurückgedrängt, war neben sizilianischem Italienisch Verkehrssprache in Palermo.[4]) Die Gedichte aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wiesen alle das gleiche Muster auf, das später von den Meistern der Sonettkunst, Petrarca und seinen Nachfolgern, übernommen wurde: Sonette bestanden stets aus vierzehn elfsilbigen Versen, die in eine Oktave bzw. ein Oktett und ein Sextett aufgeteilt waren. Die Oktave unterlag einer Zweizeilerstruktur aus alternierenden Reimen ([abababab]). Die beiden Quartette (oder das Oktett) und die nachfolgenden Terzette (oder das Sextett) trennte ein rhetorischer Neuansatz. Das Reimschema der beiden Terzette war unterschiedlich, meist [cde cde], aber es gab auch Varianten. Diese Gruppe der ältesten bekannten Sonette umfasst 19 Gedichte. Fünfzehn von Giacomo da Lentini, je eines von Jacopo Mostacci und Pier delle Vigne (auch Petrus de Vinea) und zwei weitere vom Abt des Klosters Tivoli. Eine genauere Datierung der überlieferten Texte des Dichterkreises um Friedrich II. (auch der Kaiser selbst dichtete, wenn auch keine Sonette) ist nicht möglich. Auch die Dichter des Dolce stil novo wie Dante verwendeten unter anderem die Sonettform. Die wichtigste lyrische Gattung ist sie im Canzoniere von Francesco Petrarca (1304–1374), einer durchstrukturierten Gedichtsammlung in der Volkssprache, an der er von 1338 bis kurz vor seinem Tode arbeitete.[5] Das Werk findet vom Anfang des 16. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zahlreiche Nachahmer, auch in anderen Sprachen (Shakespeares Sonette). Man spricht vom Petrarkismus bzw. vom Petrarca-Sonett. Petrarcas Zeitgenosse Antonio da Tempo beschrieb in seinem Buch „Summa artis rithmici“ schon 16 Reimvarianten des Sonetts. Vier dieser Formen wurden später zur hohen Sonettdichtung gezählt, die vier Arten, die Petrarca in seinem Canzoniere nutzte: die umschlingenden ([abba abba]) und die alternierenden Reime für die Oktave, die dreireimige Form ([cde cde]) und die alternierende Form ([cdc dcd]) für das Sextett. Ausbreitung über Europa bis zum deutschen BarockNach einer ersten Blüte bei Petrarca und Dante – ein berühmter Petrarkist und Sonettdichter war später auch Michelangelo (1475–1564) – und der sofortigen Rezeption in hebräischer Sprache durch Immanuel ha-Romi verbreitete sich das Sonett im ganzen romanischen Kulturraum, im 16. Jahrhundert auch in England und Deutschland, wenig später dann in den Niederlanden und Skandinavien. Der älteste bekannte deutsche Sonettzyklus stammt von Johann Fischart. Mit der Romantik wurde das Sonett auch in den slawischen Ländern populär. Um 1450 gelangte das petrarkistische Sonett nach Spanien (Íñigo López de Mendoza) und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Portugal (Francisco de Sá de Miranda,[6] später Luís de Camões). In der Mitte des Jahrhunderts kam es nach Frankreich (Louise Labé, Joachim du Bellay, Pierre de Ronsard) sowie gegen Ende desselben nach Holland und Deutschland. In Frankreich, wie später in Deutschland, erfuhr der Sprachrhythmus eine wesentliche Änderung. Das von den Italienern bevorzugte elfsilbige Versmaß fand im Französischen nicht immer eine Entsprechung. Viele französische Dichter verwendeten daher den Alexandriner, den klassischen Dramenvers, ein zwölf- bzw. dreizehnsilbiges Maß mit Zäsur nach Silbe 6 oder 7. Diese metrische Besonderheit wurde von den deutschen Dichtern des Barock als jambischer Sechsheber mit einer Mittelzäsur adaptiert. In England gab es eine bedeutende Sonettkultur unter den Dichtern der elisabethanischen Epoche (Philip Sidney, Edmund Spenser, Michael Drayton, Samuel Daniel u. v. a.). Vor allem William Shakespeare (1564–1616) brachte das petrarkistische Liebessonett in der besonderen Form des elisabethanischen Sonetts (drei Quartette und abschließendes Couplet, hier wie im Italienischen stets im jambischen Fünfheber) 1609 zu einer letzten Blüte. Bedeutend für die Einführung des Sonetts in Deutschland waren Georg Rudolf Weckherlin und die Poetik von Martin Opitz. Als eigenständige aussagekräftige Form gewinnt das Sonett allerdings erst Bedeutung bei Andreas Gryphius, wenn auch in der Alexandriner-Form Frankreichs. Der Petrarkismus war bei Gryphius aber längst verlassen. Gryphius vereinte das Sonett mit den Zielen religiöser Dichtung (etwa dem Vanitasgedanken der Zeit) und verarbeitete im Sonett die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Eine Besonderheit im Ursprungsland der Form stellen die „sonetti romaneschi“ des römischen Volksdichters Giuseppe Gioacchino Belli (1791–1863) dar. Belli bediente sich meisterhaft der alten Form zum Zweck einer realistischen Berichterstattung über seine römische Umwelt in weit über 2000 Sonetten. Das Sonett in Deutschland seit dem späten 18. JahrhundertNach dieser Blütezeit folgte eine Zeit, in der die überbeanspruchte Form von den Dichtern gemieden oder die Regeln bewusst gebrochen wurden, bis die Form zaghaft im späten 18. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. An ernsthafter Bedeutung gewann das Sonett wieder mit Gottfried August Bürgers Gedichtsammlung von 1789. Bürger nutzte für seine Sonette den zu dieser Zeit durch die Shakespeare-Rezeption modern gewordenen jambischen Fünfheber. Sein Schüler August Wilhelm Schlegel machte das Sonett mit seiner Poetik und seinen Gedichten zu einem hervorgehobenen Paradigma der deutschen Romantik. Die Themen des Sonetts wendeten sich der Kunstphilosophie zu. Es entstanden Sonette auf Gemälde oder Musikstücke. Wie zuvor rief die angesehene Form aber auch steten Spott hervor. Sonett-Liebhaber und Sonett-Gegner führten einen regelrechten Krieg gegeneinander. Unter diesen Bedingungen bezog auch Johann Wolfgang von Goethe Position und versuchte sich sehr erfolgreich an Sonetten. Während der antinapoleonischen Befreiungskämpfe wurde das Sonett zum politischen Sonett (vgl. Friedrich Rückerts „Geharnischte Sonette“, 1814). Durch das Junge Deutschland und den Vormärz wurde das Sonett zu der am häufigsten verwendeten lyrischen Form der Zeit. Für diese Epoche steht u. a. August von Platen-Hallermünde, vor allem mit den berühmten Sonetten aus Venedig. Im Symbolismus fand das Sonett neue Bewertung durch Stefan George (vor allem in dessen Übersetzungen), Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke. Auch in der Lyrik des Expressionismus trat es auf; es hatte dort den Untergang der alten Werte oder Groteskes und Komisches widerzuspiegeln. Unter den expressionistischen Dichtern bedienten sich Georg Heym, Georg Trakl, Jakob van Hoddis, Theodor Däubler, Paul Zech und Alfred Wolfenstein der Form des Sonetts. Der verbrecherischen Gewalt des nationalsozialistischen Staates stellte Reinhold Schneider christliche Gesinnung in der streng geordneten Sprache seiner Sonette entgegen. Sie wurden damals in einer Art Samisdat verbreitet und konnten erst nach dem Ende des Krieges gedruckt werden (vgl. die Olympischen Sonette Jochen Kleppers von 1936, veröffentlicht 1947; jetzt in: ders.: Ziel der Zeit). In und nach dem Zweiten Weltkrieg klammerten sich Verfolgte und Eingekerkerte (Albrecht Haushofers „Moabiter Sonette“, 1946), Emigranten und Überlebende an die strenge Form des Sonetts. Das Sonett wurde in den 1950er bis 1970er Jahren in der BRD wenig gepflegt (Christoph Meckel, Volker von Törne, Robert Wohlleben, Klaus M. Rarisch). Die Sonette, die geschrieben wurden, zeigen nicht selten die Sonettform als eine sinnentleerte Form vor. Dagegen richtet sich Robert Gernhardts bekanntestes neueres komisches Sonett Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs aus dem Jahr 1979, in der das lyrische Ich wortreich und ironisch erklärt, Sonette „beschissen“ zu finden.[7][8] In der DDR wurde das Sonett von der Sächsischen Dichterschule (Karl Mickel, Rainer Kirsch und andere) häufig aufgegriffen und produktiv weiterentwickelt. Seit Ende der 1970er Jahre werden wieder mehr Sonette geschrieben, zum Beispiel von Andreas Altmann, Achim Amme, Ernst-Jürgen Dreyer, Eugen Gomringer, Durs Grünbein, Ulla Hahn und Stefan Heyer. In der jüngeren Generation ist diese Gedichtform unter anderem bei Jan Wagner zu finden. Weitere bedeutende SonettdichterIm Englischen wurde das Sonett um 1800 von William Wordsworth und anderen romantischen Dichtern wiederaufgenommen und etablierte sich als eine der beliebtesten Gedichtformen des 19. Jahrhunderts. Berühmt wurden Elizabeth Barrett Brownings Sonnets from the Portuguese von 1850. Erste experimentelle Ansätze finden sich in George Merediths Sequenz Modern Love (1862), die das Scheitern seiner Ehe in auf 16 Zeilen erweiterten Sonetten darstellt, und radikaler in den lautmalerischen Sonetten von Gerard Manley Hopkins. Im frühen 20. Jahrhundert tritt der Amerikaner Robert Frost mit existentialistisch aufgeladenen Naturbetrachtungen als bedeutendster Sonettdichter seines Landes hervor. Die Postmoderne um Robert Lowell und John Berryman entdeckt das Sonett für ihre dekonstruktivistische Poetik und macht es damit für experimentelle Ansätze bis in die Gegenwart interessant. Auch afroamerikanische Dichter eignen sich die europäische Form an, um ihren Anspruch auf Teilhabe an der literarischen Tradition zu untermauern.[9] Ein bedeutender französischer Sonettdichter war in der Mitte des 19. Jahrhunderts Charles Baudelaire. In seinem Hauptwerk „Les Fleurs du Mal“ sind etwa die Hälfte der Gedichte in Form von Sonetten geschrieben. Auch Stéphane Mallarmé und Arthur Rimbaud schrieben formvollendete Sonette. Bei äußerlich eingehaltener Strenge sind bei den Letztgenannten zugleich innere Auflösungstendenzen des Sonetts hin zu einer mehr gleitenden, freieren Verwendung der Form zu erkennen. Während die Sonette des Expressionismus an die Rauheit der Sonette Rimbauds anknüpfen, wird der schwebend-luftige Ton der Sonette Mallarmés am ehesten von Rilke in den Sonetten an Orpheus dem Deutschen anverwandelt und weitergeführt. BeispieleFrancesco PetrarcaIo canterei d'amor sí novamente So neuer Art wollt’ ich von Liebe künden, William ShakespeareLet me not to the marriage of true minds Nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern, Nichts löst die Bande, die die Liebe bindet. (Diese und 9 weitere Nachdichtungen des 116. Sonetts auf deutsche-liebeslyrik.de[15]; insgesamt gibt es mehr als 80 Übersetzungen des Gedichts ins Deutsche.) Andreas GryphiusWir sindt doch nuhnmer gantz, ja mehr den gantz verheret! – Andreas Gryphius: Thränen deß Vaterlandes anno 1636 [16] Johann Wolfgang von Goethe Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen – Johann Wolfgang von Goethe: Natur und Kunst [17][18] Heinrich HeineIm tollen Wahn hatt’ ich dich einst verlassen, – Heinrich Heine: Im tollen Wahn hatt’ ich dich einst verlassen[19] Georg TraklVerhallend eines Gongs braungoldne Klänge – – Georg Trakl: Traum des Bösen [20] August Wilhelm SchlegelZwei Reime heiß’ ich viermal kehren wieder, – August Wilhelm Schlegel: Das Sonett [21] Quantitative UntersuchungenAuch die Quantitative Literaturwissenschaft hat sich mit Sonetten unter sehr verschiedenen Aspekten befasst. Einen neuen Überblick am Beispiel von Sonetten aus einigen Sprachen findet man bei Andreev, Místecký und Altmann (2018).[22] Literatur
WeblinksWiktionary: Sonett – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Anmerkungen
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