Roger Melis (* 20. Oktober1940 in Berlin; † 11. September2009 ebenda) war ein deutscher Porträt-, Reportage- und Modefotograf. Als Mitbegründer und Förderer der ostdeutschen Autorenfotografie zählt er zu den bekanntesten Fotografen aus der DDR.
Roger Melis war der Sohn der Journalistin Nora Monica Melis-Rosenthal und des Bildhauers Fritz Melis. Melis wuchs im Haushalt des Dichters Peter Huchel im Berliner Westen und ab 1952 in Wilhelmshorst bei Potsdam auf. Huchel war sein Stiefvater. Von 1957 bis 1960 absolvierte er eine Lehre als Fotograf und fuhr anschließend ein halbes Jahr als Moses zur See. Ab 1962 arbeitete er als wissenschaftlicher Fotograf an der Berliner Charité. Im Rahmen eines nicht realisierten Buchprojekts über das geteilte Deutschland entstanden auf Anregung des Dramaturgen Klaus Völker 1962 erste Porträts von Dichtern und Künstlern in Ost und West, ab 1966 erste Reportagen für die Zeitschrift Merian und ab 1968 erste Modefotografien für die Zeitschrift Sibylle. Ab 1968 lebte und arbeitete er zusammen mit der Modejournalistin Dorothea Bertram, die er 1970 heiratete. 1968 wurde er Mitglied im Verband Bildender Künstler (VBK) und erhielt die Zulassung zur freiberuflichen Arbeit. 1969 gründete er zusammen mit Arno Fischer, Sibylle Bergemann u. a. die Fotogruppe Direkt. Er war Mitinitiator und seit 1981 Vorsitzender der Zentralen Arbeitsgruppe Fotografie im VBK und unterrichtete von 1978 bis 1990 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.
Wegen eines gemeinsamen Beitrags mit Erich Loest für die Zeitschrift Geo durfte er ab 1982 nicht mehr für die DDR-Presse arbeiten und konzentrierte sich auf Buch- und Ausstellungsprojekte. Sein 1986 erschienenes Fotobuch Paris zu Fuß war der erste Bildband eines ostdeutschen Fotografen, der mit den Mitteln der Straßenfotografie vom Leben in einer fremden Stadt erzählte. Mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren zählte die Publikation in der DDR zu den erfolgreichsten Fotobüchern.
Ab 1989 wandte er sich wieder der Reportage- und Porträtfotografie zu (u. a. für die Wochenpost, Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung). Zwischen 1993 und 2006 war er Lehrer für Fotografie beim Berliner Lette-Verein.
Ab 2007 erschien im Lehmstedt Verlag Leipzig eine ursprünglich auf vier Bände angelegte Werkausgabe, von denen jedoch nur drei Bände ausgeführt wurden. Mit dem Band In einem stillen Land legte Melis ein umfassendes Porträt der DDR und ihrer Bewohner vor und fand damit große Anerkennung als „Meister des ostdeutschen Fotorealismus“ (Die Zeit). 2008 folgte eine umfassende Sammlung seiner Künstlerporträts aus 40 Jahren, 2010 der Band Am Rande der Zeit mit Fotografien vom dörflichen Leben in der DDR.
2009 erlag Roger Melis im Alter von 68 Jahren seiner langen Krebserkrankung.[1]
Nachdem das Suermondt-Ludwig-Museum Aachen bereits 2009 eine erste Werkschau veranstaltet hatte, zeigte die Galerie C/O Berlin 2010 unter dem Titel „Roger Melis. Chronist und Flaneur“ im Berliner Postbahnhof eine erste umfassende Retrospektive. 2019 widmete die Stiftung Reinbeckhallen Roger Melis erneut eine Retrospektive seiner Fotografien aus der DDR unter dem Titel Die Ostdeutschen, die von einem gleichnamigen Begleitband mit Fotografien aus dem Nachlass begleitet wurde. Es folgte 2020 eine von mehreren Ausstellungen begleitete Neuausgabe des Erfolgsbandes Paris zu Fuß, 2021 die seiner Ehefrau Dorothea Melis gewidmete Porträtsammlung Thea und 2022 ein aufwendig produzierter Querschnitt durch seine Modefotografie.
Der fotografische Nachlass von Roger Melis wird von seinem Stiefsohn, dem Publizisten und Buchgestalter Mathias Bertram betreut. 2021 richtete die Akademie der Künste ein Roger Melis Archiv ein, das den Nachlass sukzessive übernehmen wird. In einem ersten Schritt erhielt die Akademie eine Sammlung von 900 Autoren- und Künstlerporträts.[1]
Zitate
„Melis verbindet die registrierende Strenge eines August Sander, des frühen Porträtisten der deutschen sozialen Stände, mit der graziösen, artistischen Aufmerksamkeit eines Henri Cartier-Bresson für die Sensationen des Alltags.“
„Die Arbeiten von Roger Melis, schwarz-weiße Fotografien, die in ihrer Klarheit und ihrem Bildaufbau an die durchdachte, sorgfältige Komposition alter Gemälde erinnern, zeigen eine andere Welt und andere Menschen als die in der staatlich gelenkten Presse veröffentlichten Fotos. Melis verstand zu warten, bis der Blick ins Offene ging, der Mensch sichtbar wurde, er bei sich war und sich zeigte.“
„Straßenfotografie hatte im Ostblock und in der DDR einen besonderen Stellenwert. Arbeiten von Antanas Sutkus, Boris Mikhailov, Josef Koudelka oder Roger Melis waren immer auch politisch, weil sie Realitäten durchstreiften, die das offizielle Bild konterkarierten.“
Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst, Cottbus
Deutsches Historisches Museum, Berlin
Deutsches Literaturarchiv, Marbach
Fondazione Mast, Bologna
Jüdisches Museum Berlin
Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
Metropolitain Museum of Art, New York
Musée de l‘Elyseé, Lausanne
Haus der Geschichte, Bonn
Kupferstich-Kabinett Dresden
Sammlung Reinbeckhallen, Berlin
Sammlung Gabriele König, Aachen
Städel Museum, Frankfurt am Main
Zeitgeschichtliches Forum, Leipzig
Werke
Monografien
Roger Melis: Paris zu Fuß. Mit einem Vorwort von Stephan Hermlin. Volk und Welt, Berlin 1986; Neuausgabe: Paris zu Fuß. Ausgewählte Fotografien aus dem Nachlass. Herausgegeben von Mathias Bertram, Lehmstedt, Leipzig 2020, ISBN 978-3-95797-114-2.
Michael Davidis (Hrsg.): Roger Melis: Berlin – Berlin. Schriftstellerporträts aus 30 Jahren. Mit einem Vorwort von Klaus Völker. Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar 1992
Roger Melis mit Oliver Schwarzkopf, Beate Rusch (Hrsg.): Wolf Biermann: ausgebürgert. Mit abschweifenden Anmerkungen und wichtigen Nichtigkeiten von Wolf Biermann, eingeleitet durch ein Interview von Renate Oschlies und Michael Maier. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1996, ISBN 3-89602-060-9.
Roger Melis: London zu Fuß. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1999, ISBN 3-89602-313-6
Roger Melis: In einem stillen Land. Fotografien 1964–1989. Lehmstedt, Leipzig 2007, 3. Auflage 2009, ISBN 978-3-937146-52-2.
Roger Melis: Künstlerporträts. Fotografien 1962–2002. Lehmstedt, Leipzig 2008, ISBN 978-3-937146-54-6.
Roger Melis: Am Rande der Zeit. Fotografien 1973–1989. Herausgegeben von Mathias Bertram. Lehmstedt, Leipzig 2010, ISBN 978-3-937146-70-6.
Roger Melis: In einem stillen Land / In a silent country. Fotografien 1965 bis 1989. Neuausgabe. Herausgegeben von Mathias Bertram, Lehmstedt, Leipzig 2019 (dt./engl.) ISBN 978-3-95797-078-7.
Roger Melis: Die Ostdeutschen / The East Germans. Fotografien aus dem Nachlass 1964–1990. Herausgegeben von Mathias Bertram. Lehmstedt, Leipzig 2019 (dt./engl.) ISBN 978-3-95797-083-1.
Roger Melis: Paris zu Fuß / Paris by foot. Ausgewählte Fotografien. Herausgegeben von Mathias Bertram. Mit einem Vorwort von Sonia Voss. Lehmstedt, Leipzig 2020. (dt./engl.), ISBN 978-3-95797-114-2.
Roger Melis: Thea. Porträts und Momente / Portraits and Moments. Herausgegeben von Mathias Bertram. Leipzig 2021. ISBN 978-3-95797-127-2 (dt./engl.)
Roger Melis: Modefotografie / Fashion Photography. 1967-1990. Herausgegeben von Mathias Bertram und Ulrike Vogt. Leipzig 2022, ISBN 978-3-95797-134-0 (dt./engl.)
Weitere Buchpublikationen
Gerhard Wolf: Beschreibung eines Zimmers. Union Verlag, Stuttgart 1971 (Bildautor)
Kurt Bartsch: Kaderakte. Rowohlt, Reinbek 1979 (Bildautor)
Günter Drommer (Hrsg.): Dichter im Frieden. Aufbau-Verlag, Berlin 1985 (Bildautor)
Mecklenburg. Ein Reiseverführer. Greifenverlag, Rudolstadt 1986 (Bildautor)
Günter Drommer, Roger Melis (Hrsg.): Schau ins Land. Aufbau-Verlag, Berlin 1989 und Luchterhand, Neuwied 1989 (Bildautor)
Ausgeblendete Realität. Modefotos aus der DDR. Hochschule für angewandte Kunst, Wien 1989 (Bildserie)
Kurt Weidemann (Hrsg.): Ost sieht West – West sieht Ost. Deutschland im Frühjahr 1990. Eine Fotodokumentation. Cantz, Stuttgart 1990.
Albrecht Börner: Seltenes Handwerk. Verlag der Nation, Berlin:1990 (Bildautor)
Ernst-Michael Brandt: Die unsichtbare Grenze. Luchterhand, Hamburg 1991 (Bildautor)
Heinrich Heine: Die Harzreise. Aufbau Taschenbuchverlag, Berlin 1992 (Bildautor)
Michael Gromm: Horno – ein Dorf will leben. Dietz Verlag, Berlin 1995 (Bildautor)
Heiner Müller – Bilder eines Lebens. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1996 (Bildserie)
Klaus Völker (Hrsg.): Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Ein Querschnitt durch Geschichte und Ausbildungspraxis. Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin 1994 (Bildautor)
Marlies Menge: Spaziergänge. Die Serie aus der Wochenzeitung Die Zeit. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000 (Bildautor)
Dorothea Melis (Hrsg.): Die Berlinerin. Schwarzkopf und Schwarzkopf, Berlin 2000 (Bildserie)
Norbert Moos (Hrsg.): Utopie und Wirklichkeit. Ostdeutsche Fotografie 1956–1989. Druckverlag Kettler, Bönen 2005 (Bildserie)
Geschlossene Gesellschaft. Künstlerische Fotografie in der DDR 1949–1989.Berlinische Galerie, 2012
Illusion und Wirklichkeit. Sibylle – Das Modemagazin der DDR. Kunstforum Halle, 2015
Sibylle. Die Fotografen. Kunsthalle Rostock 2016/17; Opelvillen Rüsselsheim, 2017; Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst, Cottbus, 2017/18; Schloss Pillnitz, Dresden, 2018; Willy-Brandt-Haus, Berlin 2019
Total Records. Vinyl & Fotografie. C/O Berlin, 2016/17
Die Erfindung von Paris. Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar, 2018/19
The Inner Eye. Side Gallery Newcastle (UK), 2018
Photo Group „Direkt“. LOOCK Galerie /The Armory Show, New York, 2019
Berlin 1945–1990. A Photograhic Subject. Reinbeckhallen, Berlin 2019
Ost/Western. Kino, Kunst und Klassenfeind. Kunsthalle Rostock, 2021
Thomas Brasch. Internationales Literaturfestival Berlin. Silent Green, Berlin 2021
Sibylle Bergemann. Stadt Land Hund. Berlinische Galerie, Berlin 2022
Arno Fischer. Eine Reise. Schloss Kummerow 2022 / Haus am Kleistpark, Berlin 2023
Tilla Durieux. Ein Leben in Bildern. Leopold Museum Wien 2022 / Georg Kolbe Museum, Berlin 2023
Der große Schwof. Feste feiern im Osten. Stadtmuseum Jena 2023 / Dieselkraftwerk Cottbus 2023/24
Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland. Deutsche Historisches Museum, Berlin 2023/24
Jüdisch in der DDR. Jüdisches Museum, Berlin 2023
Literatur
Ullrich Wallenburg: Ich will Wirklichkeit vermitteln. Gespräch mit Roger Melis. In: Bildende Kunst, Berlin, 6/1982, S. 297–299
Axel Bertram: Fotografieren ohne Eitelkeit. Wochenpost 4/1982.
Peter Voigt: Der ausgesucht banale Moment. Sonntag 31/1987, S. 5.
Marlies Menge: Eine Gelassenheit, die ansteckend ist. In: Roger Melis: London zu Fuß. Berlin 1999.
Hans-Dieter Schütt: Beihilfe zur Erfindung der Welt. In: Roger Melis: London zu Fuß. Berlin 1999.
Hans-Dieter Schütt: Nicht staunen, wie man etwas sieht. Staunen, was man gesehen hat. Ein biographisches Gespräch mit Roger Melis. In Roger Melis: London zu Fuß. Berlin 1999, S. 8–19.
Gunnar Decker: Waldarbeiter – entrückt. In: Neues Deutschland, 9. November 2004
Peter von Becker: Das Auge eines Landes. C/O Berlin zeigt das grandiose Werk des DDR-Weltfotografen Roger Melis in einer Retrospektive. In: Der Tagesspiegel, 7. März 2010.
Kerstin Decker: Wir? Rückkehr des Menschen zum Ich: Rede zur Eröffnung der Retrospektive in der Galerie c/o berlin. In: Neues Deutschland, 8. März 2010.
Gabriela Walde: Der preußische Ikarus. Vom Alltag in der DDR. In: Berliner Morgenpost, 7. März 2010; Die Welt, 8. März 2010.
Angela Hohmann: Hineinfinden ins Bekannte. In: Die Tageszeitung (taz), 24. März 2010.
Lothar Müller: Häuptling hinter Glas. Die Kunst, den Augenblick seiner Gegenwart zu entführen. In: Süddeutsche Zeitung, 29. März 2010.
Gustav Seibt: Ein Telefon klingelt ganz allein. Der Fotoband „Am Rande der Zeit“. In: Süddeutsche Zeitung, 7. Dezember 2010.
Ingeborg Ruthe: Einer, der mit der Kamera innehielt. (pdf, 855 kB) In: Berliner Zeitung. 5. Juli 2012, archiviert vom Original am 16. Dezember 2014; abgerufen am 19. März 2019.
Gert Loschütz: Geboren aus Trennungsschmerz. Zum Tode der Dichterin Helga M. Novak. In: FAZ, 27. Dezember 2013
Sabine Schmidt: Roger Melis. In: Sabine Schmid: Fotografie zwischen Politik und Bild. Entwicklungen der Fotografie in der DDR, München 2014, S. 187–191