Ludwig II. (Bayern)Ludwig II. Otto Friedrich Wilhelm von Bayern[2] (* 25. August 1845 auf Schloss Nymphenburg, Nymphenburg, heute München; † 13. Juni 1886 im Starnberger See (damals Würmsee) bei Schloss Berg), aus dem Haus Wittelsbach stammend, war vom 10. März 1864 bis zu seinem Tod König von Bayern. Nach seiner Entmündigung am 9. Juni 1886 übernahm sein Onkel Luitpold als Prinzregent die Regierungsgeschäfte im Königreich Bayern, da Ludwigs jüngerer Bruder Otto wegen einer Geisteskrankheit regierungsunfähig war. Ludwig II. hat sich in der Geschichte Bayerns als leidenschaftlicher Schlossbauherr, vor allem der Schlösser Neuschwanstein, Herrenchiemsee und Linderhof, ein Denkmal gesetzt; er wird auch als Märchenkönig bezeichnet. Mit seinem Namen untrennbar verbunden ist auch die großzügige Förderung Richard Wagners. Während Ludwigs Regentschaft verlor Bayern mit seinen Verbündeten 1866 den Deutschen Krieg und vollzog 1870/71 den Eintritt in das Deutsche Reich. Herkunft und KindheitLudwig II. von Bayern wurde am 25. August 1845 um 0:30 Uhr in Schloss Nymphenburg bei München als ältester Sohn des Kronprinzen Maximilian und der Kronprinzessin Marie geboren. Nach einer These von Rudolf Reiser seien die beiden Söhne von König Maximilian II. in Wirklichkeit von Giuseppe Tambosi gezeugt worden.[3] Er wurde auf den Namen Otto Friedrich Wilhelm Ludwig getauft, Rufname sollte jedoch auf Drängen des gleichnamigen Großvaters, der ebenfalls an einem 25. August geboren worden war, „Ludwig“ sein; zudem ist der 25. August gleichzeitig auch der Namenstag des Hl. Ludwig von Frankreich. Ludwig I., dessen Taufpate wiederum Ludwig XVI. von Frankreich gewesen war, wurde Taufpate des Neugeborenen, wodurch für Ludwig II. später eine „Taufpatengenealogie“[4] zum französischen Königshaus hergestellt war. Diese spielte bei Ludwigs Frankophilie (in Bezug auf die Zeit vor der Französischen Revolution), die sich vor allem in seiner tiefen Verehrung Ludwigs XIV. und in den Schlossbauten Linderhof und Herrenchiemsee zeigte, eine zentrale Rolle. Nach der Geburt wurde der Säugling einer Amme, einer unbekannten Bäuerin aus Miesbach, übergeben. Zunächst entwickelte sich Ludwig gut. Im Frühjahr 1846, als Ludwig etwa acht Monate alt war, starb die Amme unerwartet; der Junge musste von heute auf morgen abgestillt werden. Er verfiel zusehends und bekam Fieber. Man befürchtete zeitweilig seinen baldigen Tod; Ludwig erholte sich aber wieder. Im Juli 1846 wurde Ludwig Sibylle Meilhaus übergeben, die bis zu seinem 7. Geburtstag seine Erzieherin blieb. Zu ihr entwickelte er eine innige Beziehung, die lebenslang hielt und nach ihrer Heirat mit Baron von Leonrod im Briefwechsel fortgeführt wurde. 1848 wurde Ludwigs Bruder Otto geboren. Die Brüder verbrachten ihre Kindheit und Jugend vor allem auf Schloss Hohenschwangau, in der Umgebung ihrer Erzieher. In dem Schloss kam Ludwig frühzeitig mit der Sagenwelt des Mittelalters in Berührung, die dort in zahlreichen Wandgemälden und -behängen dargestellt ist. Die Mutter war eine begeisterte Bergsteigerin und nahm ihre Söhne oft zu Wanderungen in der Umgebung mit. Nachdem sein Großvater, König Ludwig I. von Bayern, 1848 abgedankt hatte, wurde sein Vater Maximilian König und Ludwig Kronprinz. Die Beziehung zu den Eltern war zumindest väterlicherseits von Distanz bestimmt. Sein Vater Max sah eine von Strenge geprägte Erziehung vor, die auch Strafe und Züchtigung vorsah, Marie hingegen versorgte ihren Sohn selbst, soweit es ihr die vielfältigen Repräsentationspflichten ermöglichten. Waren die Eltern abwesend, schrieb die Mutter regelmäßig Briefe an ihr Kind und erstand auf ihren Reisen viele Spielsachen für den kleinen Prinzen.[5] Schon früh zeigte sich Ludwigs Liebe zur Literatur und Baukunst. Er spielte besonders gern mit Bausteinen und baute damit Kirchen, Klöster und dergleichen. Sein Großvater Ludwig I. förderte ihn dabei und schenkte ihm 1852 einen Bausatz vom Münchner Siegestor. Ab Mai 1854 waren Generalmajor Graf Theodor Basselet von La Rosée, Baron Emil von Wulffen und für diesen später Major Karl Maximilian von Orff als Erzieher zuständig. Der Generalmajor förderte auch Ludwigs Hang zu Selbstverherrlichung und Hochmut. Die Prinzen erhielten Unterricht von Hauslehrern. Wie aus der Erinnerung von Franz von Pfistermeister, dem langjährigen Kabinettssekretär, hervorgeht, bereitete es König Maximilian viel Mühe, seinen älteren Sohn zu seinem Morgenspaziergang mitzunehmen. Er tat es nur einige Male, denn er wusste nicht, „worüber er sich mit ihm unterreden“ sollte. Die unterkühlte Vater-Sohn-Beziehung unterstrich Ludwig noch als 30-Jähriger durch Bemerkungen in einem Brief an den Kronprinzen Rudolf von Österreich-Ungarn: „Stets hat mich mein Vater de haut en bas [von oben herab] behandelt, höchstens en passant [im Vorbeigehen] einiger gnädiger kalter Worte gewürdigt“.[6] Ihre Sommerferien verbrachten die Prinzen zwischen 1853 und 1863 oft in der eigens für ihren Vater errichteten Königlichen Villa in Berchtesgaden,[7] im September 1863 mit dem Fürstensohn Paul von Thurn und Taxis, mit dem Ludwig eine innige Freundschaft einging.[8] Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird ein Vorfall im Park der Königlichen Villa kolportiert, der Ludwig II. ab 1857 eine heftige Abneigung gegen Berchtesgaden fassen ließ und ihn nach dem Tod des Vaters (1864) für lange Zeit von weiteren Besuchen der Villa abhielt.[9] 1861 erlebte Ludwig zum ersten Mal Richard Wagners Opern Tannhäuser und Lohengrin. Bereits im Alter von zwölf Jahren vertiefte er sich besonders gern in Prosa-Schriften von Richard Wagner. Auch mit Werken von Friedrich Schiller, z. B. mit dem Drama Wilhelm Tell[10], identifizierte Ludwig sich frühzeitig. 1863 fand in Schloss Nymphenburg das einzige Treffen zwischen Ludwig und Otto von Bismarck statt, der ihm in lebenslanger Brieffreundschaft verbunden blieb. König von BayernThronbesteigungLudwigs Vater Maximilian starb nach kurzer Krankheit am 10. März 1864; Ludwig wurde am selben Tag im Alter von 18 Jahren als Ludwig II. zum König von Bayern proklamiert („Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben“). Am 11. März um 10 Uhr leistete er im Sitzungssaal der Staatsratszimmer seinen Eid auf die bayerische Verfassung.[11] Bei den Trauerfeiern für Maximilian am 14. März sah man den neuen König erstmals in der Öffentlichkeit. Mit seinen 1,93 m war Ludwig, zumal für die damalige Zeit, außerordentlich großgewachsen. Durch den unerwarteten Tod seines Vaters kam Ludwig, der gerade die ersten Vorlesungen an der Universität besuchte, völlig unvorbereitet in sein Amt. Zudem hatte der Deutsch-Dänische Krieg begonnen, von dem sich Bayern noch fernhielt. Zum Vorsitzenden im Ministerrat ernannte der König Ende 1864 wieder Ludwig von der Pfordten, der bereits zeitweise unter Ludwigs Vater diese Position innegehabt hatte. Im Sommer 1864 begab sich die Zarin Marija Alexandrowna nach Bad Kissingen, wo die erste persönliche Begegnung mit Ludwig II. stattfand. Es folgte ein weiterer Besuch Ludwigs in Bad Schwalbach, wo sich die Zarin zu einer Nachkur aufhielt. Daraus resultierte ein Briefwechsel der beiden Monarchen, der ein Jahr lang andauerte. Wohl wegen einer Verschlimmerung ihrer Krankheit brach der Kontakt aber wieder ab. Förderung Richard WagnersVon Anfang an engagierte sich Ludwig für die Förderung der Kultur; insbesondere unterstützte er den Komponisten Richard Wagner, den er am 4. Mai 1864 erstmals persönlich traf. Der König stellte ihm in der Brienner Straße in München ein Haus zur Verfügung. Zwischen 1864 und 1865 ließ er dem verschuldeten Wagner 170.000 Gulden zukommen. Er finanzierte damit unter anderem dessen Musikdrama Der Ring des Nibelungen. Die enge Freundschaft zwischen dem König und Wagner blieb zunächst bestehen, allerdings hielt Ludwig von Wagners Antisemitismus wenig und verwahrte sich gegen dessen Überzeugungsversuche. Vor der Uraufführung des Parsifal stellte Ludwig Wagner das Münchner Hofopernorchester nur unter der Bedingung zur Verfügung, dass Hermann Levi dirigierte – auch ohne dessen von Wagner geforderte Taufe. 1869 und erneut 1882 erhob er Angehörige der jüdischen Münchner Bankiersfamilie von Hirsch in den Freiherrenstand. Ebenfalls 1882 sorgte Ludwig dafür, dass zentral gegenüber der Münchner Maxburg ein Grundstück für den Neubau einer Hauptsynagoge zur Verfügung gestellt wurde. Ludwig plante mit Wagner den Bau eines großen Festspielhauses an der Isar, das Wagners Freund Gottfried Semper errichten sollte. Wagners finanzielle Forderungen wurden immer umfangreicher und als er begann, sich auch in die Politik einzumischen, löste dies Proteste von Presse und Regierung aus. Wagner wurde seine Verschwendungssucht vorgehalten, ferner seine außereheliche Beziehung mit Cosima von Bülow und die Geburt ihrer Tochter Isolde im April 1865. Im Dezember 1865 musste sich Ludwig II. dem Widerstand der Staatsregierung, der Münchner Bürger und seiner eigenen Familie beugen und den unbeliebten Wagner auffordern, Bayern zu verlassen. Anders als die Könige vor ihm konnte Ludwig große stadtbildende Bauvorhaben in der Hauptstadt nicht mehr durchsetzen, was dazu beigetragen hat, dass der König sich bald enttäuscht von München abwandte. Wagner mietete das bei Luzern gelegene Landhaus Tribschen, für das Ludwig die Miete bezahlte. Er nahm dort seine unterbrochene Kompositionsarbeit an den Meistersingern wieder auf. Am 22. Mai 1866 erhielt er überraschenden Besuch von König Ludwig und dessen Flügeladjutanten Paul von Thurn und Taxis.[12] Angesichts des drohenden deutsch-deutschen Krieges wollte Ludwig als König abdanken und sich in die Nähe Richard Wagners zurückziehen. Mit Hilfe Pauls, der anschließend mehrfach inkognito nach Tribschen reiste, konnte der König jedoch überzeugt werden, nach München zurückzukehren[13] und von seiner Rücktrittsabsicht Abstand zu nehmen. Doch Ludwig förderte Wagner auch weiterhin. Die Wagner-Opern Tristan und Isolde (10. Juni 1865), Die Meistersinger von Nürnberg (21. Juni 1868), Das Rheingold (22. September 1869) und Die Walküre (26. Juni 1870) erlebten im Bayerischen Nationaltheater ihre Uraufführung. Seit 1872 ließ Ludwig sich dort vollständige Wagner-Opern ohne Publikum vorführen. Später finanzierte er auch das Richard-Wagner-Festspielhaus in Bayreuth, das am 13. August 1876 mit dem Rheingold eröffnet wurde, womit die erste zyklische Aufführung des Ring des Nibelungen begann. Ludwig wohnte nur der Generalprobe bei, nicht aber der Premiere, zu welcher der Kaiser und zahlreiche Würdenträger anreisten. Zu den nächsten Festspielen 1882 mit der Uraufführung des Parsifal kam der menschenscheue König jedoch nicht mehr. Dass Königin Marie die Begeisterung ihres Sohnes für Wagner keineswegs teilte, trug zu ihrer Entfremdung bei; anders als Ludwig war sie aber sehr gesellig und ihr munteres Geplauder missfiel ihm. Der König mied sie zunehmend. An seinem Bruder Otto hing er jedoch und sorgte sich stets um dessen Gesundheitszustand. Anderen Verwandten wie seinem Cousin Ludwig, dem späteren Ludwig III., der um ein halbes Jahr älter war, verübelte der junge Monarch ihren zu wenig ehrerbietigen und „respektlosen“ Umgang. Wagner jedoch suchte er in allen Lebenslagen und auch in politischen Fragen um Rat. Krieg gegen PreußenDas politische Ziel, die souveräne Existenz des Königreichs zu sichern, wollte die bayerische Regierung durch die Erhaltung der Bundesverfassung erreichen. Der Vorsitzende im Ministerrat von der Pfordten unterschätzte, wie viele Zeitgenossen auch, die Entschlossenheit Bismarcks, die „Deutsche Frage“ unter der Führung Preußens zu klären. Mit dem Scheitern seiner Vermittlungsbemühungen hatte auch der Preußische Bundesreformplan keinen Erfolg. Ludwig II. wollte in dem sich anbahnendem Krieg zwischen Preußen und Österreich um die Führung in Deutschland neutral bleiben und sein Land aus dem direkten Kriegsgeschehen heraushalten. Österreich pochte aber auf die Einhaltung der im Deutschen Bund vereinbarten Bündnispflichten. Bayern und sein König lavierten zunächst zwischen Neutralitätswunsch und Bündnispflicht.[14] Am 11. Mai 1866 unterschrieb Ludwig den Mobilmachungsbefehl, womit Bayern als Mitglied des Deutschen Bundes auf Seiten Österreichs in den Deutschen Krieg von 1866 zwischen Österreich und Preußen eintrat. Gleichzeitig wurde Österreich aber auf preußischen Druck die Nutzung der strategisch wichtigen Eisenbahnlinie Regensburg – Pilsen – Prag verweigert.[15] Der von Kindheit an wenig militärisch gesinnte Ludwig überließ die Kriegspolitik seinen Ministern, zog sich mit seinem Freund und Flügeladjutanten Paul von Thurn und Taxis aus der Öffentlichkeit nach Schloss Berg und auf die Roseninsel im Starnberger See zurück. Am 22. Mai begab er sich inkognito in die Schweiz, nach Tribschen am Vierwaldstätter See, um dort den aus München verbannten Richard Wagner zu treffen. Wagner und Paul von Thurn und Taxis überzeugten den König, seine Abdankungsabsicht aufzugeben.[16] Im Friedensvertrag nach der Niederlage verpflichtete sich Bayern, eine Kriegsentschädigung von 30 Millionen Gulden an Preußen zu zahlen – ein vergleichsweise geringer Betrag, wenn man berücksichtigt, dass etwa die Bürger der vormals Freien Stadt Frankfurt am Main eine ähnlich hohe Summe aufbringen mussten wie sein Königreich. Auch die Gebietsverluste blieben gering,[14] es trat das Bezirksamt Gersfeld und den Landgerichtsbezirk Orb sowie Kaulsdorf ab. In Bayern machte man für die Niederlage vor allem die Minister und die militärische Führung verantwortlich, aber die bayerische Armee befand sich zu Kriegsbeginn in einem desolaten Zustand. Ausrüstung und Organisation waren seit Jahrzehnten vernachlässigt worden. Das lag auch am politischen Kurs seiner Monarchen.[14] Im Rahmen des Schutz- und Trutzbündnisses unterstellte Bayern, wie die anderen süddeutschen Staaten, für den Bündnisfall seine Armee nun dem preußischen Oberbefehl. Dies schränkte Bayerns außenpolitischen Spielraum deutlich ein.[15] Ludwig unternahm vom 10. November bis 10. Dezember 1866 in Franken die einzige Bereisung seines Königreichs. Das Herzogtum Franken – erst kurz zuvor ein Teil Bayerns geworden und gerade in Erwägung einer Wiederabspaltung – war empört, dass es die ganze Last der Kämpfe in Bayern auf seinem Gebiet hatte tragen müssen. Der Besuch des Königs gewann die Franken wieder für Bayern, auch wenn Ludwig II. auf Grund seiner unentschiedenen Haltung bei dem deutsch-deutschen Konflikt einen Prestigeverlust erlitten hatte.[15] In der Folge widmete er sich vor allem seinen romantischen Ideen und zog sich auf seine Schlösser zurück; von dort aus kommunizierte er mit der Regierung über Abgesandte. RegierungspolitikUnter Ludwig ging die Führung des Landes nun faktisch an den Ministerrat über. Ende 1866 wurde von der Pfordten durch Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst ersetzt, der zwar den preußischen Anspruch auf Hegemonie in der deutschen Politik unterstützte, aber den Beitritt Bayerns zum neuen Bundesstaat, dem Norddeutschen Bund, ablehnte. Entgegen verbreiteter Ansichten übte Ludwig seine Amtsgeschäfte trotz häufiger Abwesenheit von München fast bis zum Ende gewissenhaft aus. Der Kabinettssekretär sorgte für eine reibungslose Kommunikation zwischen dem König und den Ministern. Die Anfragen und Dokumente wurden von Ludwig oft mit Signaten (Anmerkungen und Empfehlungen) versehen. Ebenso schaltete er sich bei Ernennungen oder Gnadengesuchen ein. Auch die Durchsetzung einer Gewerbeordnung nach preußischem Vorbild mit freiem Niederlassungsrecht für die meisten Berufe unterstützte Ludwig. 1868, zwei Jahre nach Ludwigs Besuch der Fürther Synagoge Anfang Dezember 1866, erhielten die Juden in Bayern ihre rechtliche Gleichstellung (vgl. Bayerisches Judenedikt von 1813), nachdem bereits Ludwigs Vater Maximilian II. ihnen 1848 das aktive und passive Wahlrecht zugestanden hatte. Er hatte bemerkenswerte Detailkenntnisse in der Wirtschaftspolitik und im Staatskirchenrecht. Ludwig II. setzte die Personalpolitik seiner Vorgänger fort, deren Handlungsspielraum in der konstitutionellen Monarchie eingeschränkt war. Es ging stets darum, die politischen Kräfte im Land zu neutralisieren und den Einfluss der Volksvertretung möglichst gering zu halten. Die Ministerien wurden von den bayerischen Königen grundsätzlich gegen die Mehrheitsverhältnisse im Landtag besetzt. Als in der Auswirkung des Krieges von 1866 die katholisch-konservative, anti-preußische Patriotenpartei die absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer errang, berief König Ludwig II. nationalliberale und pro-preußische Minister. Mit seiner Minister-Politik konterkarierte er sogar die eigene politische Haltung, die derjenigen der bayerischen Patrioten näher stand. Wichtiger als die parlamentskonforme Besetzung der Regierung war dem König die Demonstration seiner Souveränität.[15] Beim Besuch der Pariser Weltausstellung im Frühjahr 1867 traf sich Ludwig mit dem französischen Kaiser Napoleon III. und suchte dessen Unterstützung.[15] Im Vorfeld des Preußisch-Österreichischen Krieges 1866 hatte der französische Kaiser jedoch dem preußischen Ministerpräsidenten Bismarck Neutralität zugesichert in der Hoffnung, bei einem Sieg Preußens die bayerische Pfalz, Rheinhessen, Saarbrücken und Saarlouis zu erhalten.[17] Zum politischen Wirken Ludwigs sagte der Historiker Bernhard Löffler im Juli 2010 im Gespräch mit dem ZDF: „Zum einen hat sich da im Laufe der 1870er Jahre schon eine Wende angedeutet, die auf den Rückzug des Königs hinausläuft. 1873 spricht er schon selbst von geistigem Herausleben aus der unerträglichen Gegenwart. Zum anderen hat er auch von Beginn an kein besonderes politisches Durchsetzungsvermögen bewiesen. Dass er dagegen jedes Gesetz gegenzeichnen musste, ist einfach Ergebnis der bayerischen Verfassung und des konstitutionellen Systems und hat nichts mit dem eigenen Engagement zu tun. Aber er hat keinerlei Frustrationstoleranz besessen, … weil ihm jedes Gespür für das Funktionieren des konstitutionellen Systems abging.“[15] Als Gegenentwurf sowie Resultat seiner Religiosität steigerte er sich zunehmend in die Traumwelt von Gottesgnadentum und absoluter Monarchie, welche er in seinem Idol und Namensvetter Ludwig XIV. personifiziert sah, dessen Leben (und vor allem Bauten) er intensiv studierte. Verlobung mit Sophie Charlotte in BayernLudwig war nie verheiratet, verlobte sich aber aus einem spontanen Entschluss heraus am 22. Januar 1867 mit der um zwei Jahre jüngeren Herzogin Sophie Charlotte in Bayern aus einer Nebenlinie des Hauses Wittelsbach. Sie war die jüngste Schwester der Kaiserin Elisabeth von Österreich und eine Tochter des Herzogs Max in Bayern. Sophie Charlottes Mutter Ludovika war eine Halbschwester seines Großvaters Ludwig I. Die beiden kannten sich seit ihrer Kinderzeit und hatten sich am 21. Januar bei einem Hofball wiedergesehen. Vor seiner Verlobung hatte der König öfter vernehmen lassen, dass er nicht heiraten wolle. Sein plötzlicher Sinneswandel im Januar 1867 und seine Blitzverlobung mit Sophie Charlotte muss im Zusammenhang mit dem Zerwürfnis des Königs mit seinem Flügeladjutanten Paul von Thurn und Taxis gesehen werden, den Ludwigs Biograf Oliver Hilmes als dessen „ersten Liebhaber“[18] bezeichnet. Die These, dass die Verlobung mit Sophie Charlotte in diesem Kontext gesehen werden muss, äußerte erstmals Desmond Chapman-Huston Mitte des 20. Jahrhunderts.[19] Sie wurde von Sophie Charlottes Biografen Christian Sepp bestätigt.[20] Ludwig sprach seine Verlobte in seinen Briefen stets mit Elsa an. Bezeichnenderweise fühlte er sich jedoch nicht als liebender Lohengrin, denn seine Briefe an die Braut Elsa unterschrieb Ludwig mit Heinrich. Ein Beleg dafür, dass es sich hier um eine Liebe ganz nach des Königs Art handelte, „schwärmerisch, weltentrückt, ohne die von Ludwig gehasste Sinnlichkeit“.[21] Sophie teilte diese romantische Schwärmerei und Wagner-Begeisterung. Dennoch kam es schon kurze Zeit nach Bekanntgabe der Verlobung zu Verstimmungen zwischen dem König und ihr. So plötzlich wie der König sich zur Verlobung entschieden hatte, so schnell wurde er seiner Braut überdrüssig. Für die Öffentlichkeit sichtbar wurde dies erstmals bei einem Hofball Ende Februar 1867, der aus Anlass der Verlobung abgehalten wurde. Ludwig II. verließ seinen eigenen Verlobungsball bereits nach einer Stunde, um das Ende des Theaterstückes Maria Stuart zu sehen und stellte seine Braut somit in der Öffentlichkeit bloß. Es folgten zahlreiche weitere Verletzungen, die zur Entfremdung des Paares führten.[22] Währenddessen wurden die Hochzeitsvorbereitungen am Hof mit großem Eifer vorangetrieben. Papst Pius IX. erteilte den Heiratsdispens, der wegen der nahen Verwandtschaft der Ehekandidaten erforderlich war. Bereits am 14. März 1867 wurde dem König das Hochzeitszeremoniell vorgelegt. Jedoch schob Ludwig den Hochzeitstermin immer weiter hinaus, vom 25. August auf den 12. Oktober, schließlich auf den 12. November 1867. Der König ging immer mehr auf Distanz, obwohl bereits Bilder kursierten, auf welchen Sophie als Königin tituliert wurde und die Millionen Gulden teure Hochzeitskutsche fertig war. Schließlich löste er am 7. Oktober 1867 die Verlobung. Über diese Entscheidung waren nicht nur die Eltern von Sophie, sondern auch die Verwandtschaft und der Hochadel konsterniert. Elisabeth von Österreich schrieb an ihre Mutter nach Possenhofen:
Niemand ahnte, dass Sophie sich drei Tage nach ihrer Verlobung mit dem König in den Kaufmann Edgar Hanfstaengl verliebt hatte und sich heimlich mit ihm auf Schloss Pähl traf. Aufgrund von Äußerungen in Briefen – etwa gegenüber seinem Adjutanten Paul von Thurn und Taxis – und des weiteren Lebenslaufes erscheint es gewiss, dass Ludwig kein Interesse am anderen Geschlecht hatte. Sein geheimes Tagebuch, das auf Grundlage umstrittener Abschriften[24] in Auszügen 1925 durch den Stiefsohn des Ministers Johann von Lutz herausgegeben wurde, bietet Hinweise für homosexuelle Neigungen des Königs. Es stellt zugleich ein Zeugnis für seine Gewissensqualen dar und für die aussichtslosen Versuche, sein Begehren zurückzudrängen.[25] Die historischen Zeugnisse zur Homosexualität Ludwigs II. wurden erstmals vom Münchner Kultur- und Landeshistoriker Klaus Reichold in einer Studie zusammengefasst.[26] Der Heidelberger Psychiater und Neurologe Heinz Häfner vertritt in seiner Veröffentlichung über Ludwig die Ansicht, dass dieser nicht nur homosexuell war, sondern zum Ausleben seiner Neigung sogar Reitersoldaten in großer Zahl angefordert und sexuell missbraucht haben soll.[27] Dies hält auch der Biograf Oliver Hilmes für einen der wesentlichen Gründe für die am Ende erfolgte Entmündigung und Festsetzung des Königs sowie die Einsetzung der Regentschaft.[28] Den österreichischen Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch soll Ludwig als seelenverwandt angesehen haben.[29] Krieg gegen Frankreich und KaiserbriefBayern trat mit seiner Armee im Sommer 1870 in den Deutsch-Französischen Krieg ein. Grundlage hierfür war das Schutz- und Trutzbündnis von 1866 mit Preußen. Ludwig II. ordnete schon einen Tag nach der französischen Kriegserklärung die Generalmobilmachung im bayerischen Königreich an und ermöglichte mit einem überraschenden Vorstoß bayerischer Truppen vom pfälzischen Landau aus, dass die Kriegsentscheidung danach bereits früh bei Sedan fallen konnte. Damit zeigte sich Ludwig deutlich entschlossener als 1866. Das Ergebnis war wiederum Prestigeverlust im Volk, denn die Folge des Krieges sollte der Verlust der bayerischen Souveränität sein: Die süddeutschen Staaten einschließlich Bayerns unterzeichneten Beitrittsverträge zum Norddeutschen Bund. Dabei handelten die süddeutschen Staaten sich zwar Sonderrechte (Reservatrechte) aus, und der norddeutsche Bundeskanzler Otto von Bismarck gestand zu, dass die Beitrittsverträge dem Anschein nach von einer Neugründung des gesamtdeutschen Staates sprachen. So half er den Beitrittsstaaten, das Gesicht zu wahren. Es handelte sich aber um einen Beitritt zu einem Bundesstaat, dessen Oberhaupt der preußische König als Bundespräsidium war. Dem Vorsitzenden im Ministerrat Bray-Steinburg oblagen die Verhandlungen um den Eintritt Bayerns in das Deutsche Reich, wo er Bayern auch eine weiterhin eigenständige bayerische Armee und Diplomatie sowie weitere Ausnahmen bei den Zuständigkeiten des Reiches sichern konnte. Der Vorsitz Bayerns im diplomatischen Ausschuss des Bundesrats, der schon 1870 Bayern zugesprochen worden war, wurde dagegen in der Folge nicht genutzt und brachte dem Königreich kein zusätzliches Gewicht. Nach dem Willen von Reichstag und Bundesrat sollte der preußische König außerdem den Titel Deutscher Kaiser erhalten (dies geschah formell durch eine neue Bundesverfassung am 1. Januar 1871). Bismarck wollte außerdem, dass die deutschen Bundesfürsten dem preußischen König Wilhelm I. die Kaiserkrone offiziell antrugen. Dazu entwarf Bismarck einen Kaiserbrief. Diesen sollte Ludwig als ranghöchster (nichtpreußischer) Bundesfürst unterzeichnen. Das sah Ludwig als persönliche Zumutung an. Den – unrealistischen – Vorschlag Ludwigs, die Kaiserwürde zwischen Berlin und München wandern zu lassen, lehnte Bismarck ab.[15] Ludwig akzeptierte zögerlich den Kaisertitel für den preußischen König, einen Vetter seiner Mutter, den er wenig schätzte. Am 30. November 1870 unterschrieb er den Kaiserbrief. Im Gegenzug sicherte Bismarck ihm geheime Geldzahlungen zu, die aus dem Welfenfonds diskret über Schweizer Banken geleitet wurden. Aus der vom Reichstag beschlossenen National-Dotation in Höhe von 4 Millionen Talern wurden ihm 300.000 Taler zur Verteilung nach eigener Bestimmung zur Verfügung gestellt. Die Tragweite dieser Zahlungen für Ludwigs Einlenken wird aber in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt: Rupert Hacker zufolge etwa war Ludwigs Einsicht in die Unausweichlichkeit des bayerischen Beitritts in den deutschen Staat entscheidend; die damals noch „unbestimmte Aussicht auf spätere Zahlungen“ habe „seine Entscheidung allenfalls am Rande beeinflusst“.[30] Ludwig beteiligte sich im Gegensatz zu seinem Onkel Luitpold und seinem Bruder Otto nicht an der Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871. Im höchsten Grade stolz auf seine Souveränität, vermied er möglichst persönliche Kontakte mit dem neuen Kaiserhaus und gab seine Missstimmung später in gereizter Sprache zu erkennen.[31] Seine Mutter hatte als gebürtige Preußin im Gegensatz zu ihm die Reichsgründung 1871 begrüßt. Bei einer späteren Durchreise Wilhelms I. durch München weigerte sich Ludwig, dorthin zu fahren, um ihn zu begrüßen, mit der Begründung, dass es sich um eine Privatreise des Reichsoberhaupts handele, und untersagte sogar seiner Mutter, ihren kaiserlichen Cousin in Nymphenburg zu empfangen. Rückzug aus der ÖffentlichkeitBereits im Sommer 1871 hatte Ludwig sich in einem geheimen Brief gegen eine Einschränkung seiner Souveränität gewandt und versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen und auch die Pressefreiheit einzuschränken[32]. Im Oktober 1875, als die klerikale Kammermehrheit in einer Adresse das ihm genehme Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußeren unter Adolph von Pfretzschner offen anklagte und vom König die Erfüllung ihrer Forderungen wünschte, trat Ludwig dem schroff entgegen und versicherte 1876 im Landtagsabschied dem Ministerium sein unerschüttertes Vertrauen. Dieser festen Haltung gegen die ultramontane Kammermehrheit blieb er auch in den nächsten Jahren treu.[31] 1880 wurde Pfretzschner als Vorsitzender im Ministerrat durch Johann von Lutz abgelöst, der die Stellung des Königs zu bewahren suchte, indem er sich nachhaltig dagegen wehrte, ihn „zur bloßen Unterschreibmaschine in den Händen der verantwortlichen Minister“ werden zu lassen.[33] Dennoch entfloh der König zunehmend der Wirklichkeit. In den Plänen für einen chinesischen und einen byzantinischen Palast zeigte er eine Weltoffenheit und einen kulturellen Kosmopolitismus, der einen weiten kulturellen Horizont verriet, allerdings auch ein Abdriften in die Welt der Träume. Von 1869 bis Sommer 1870[34] ließ er über dem Nordwestflügel des Festsaalbaus der Münchner Residenz einen 70 × 17 m großen Wintergarten durch den Hofgartendirektor Carl Effner und den Theatermaler Christian Jank errichten. Eine neun Meter hohe Tonne aus Glas und Eisen überspannte den Garten mit exotischer Flora und Fauna, mit künstlichem See, Maurischem Kiosk, Fischerhütte und großen austauschbaren Panoramagemälden von Julius Lange. Des Weiteren ließ Ludwig II. die Bühne des Residenztheaters elektrifizieren. Außerdem ließ er die gesamten Appartements der Residenz restaurieren. 1874 nahm er das letzte Mal an der Münchner Fronleichnamsprozession teil. Seine Fahrt zur Generalprobe der Bayreuther Festspiele 1876 wurde sein letzter halbwegs öffentlicher Auftritt. Im April 1881 begann seine Freundschaft mit dem jungen Schauspieler Josef Kainz. Kainz begleitete den König als Vorleser auf einigen Reisen und musste jederzeit die gewünschten Partien aus Schauspielen deklamieren. Vom 27. Juni bis zum 14. Juli 1881 unternahmen sie eine Schweizreise auf den Spuren Wilhelm Tells. Aber auch diese letzte Freundschaft zerbrach noch auf der Reise. Von seiner Familie stand ihm nur sein Cousin, der Arzt Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern nahe, der mit seiner Gemahlin – als einzige Besucher überhaupt – das noch im Bau befindliche Schloss Herrenchiemsee besichtigen durfte. In den letzten Lebensjahren zog sich der König zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Seit Mitte der 1870er Jahre löste Schloss Linderhof die Münchner Residenz als Hauptwohnsitz faktisch ab. Er verbrachte hier die Wintermonate und unternahm allnächtlich seine berühmten Schlittenfahrten. Im Mai zog er nach Schloss Berg am Starnberger See; im Sommer kehrte er nach Linderhof zurück, von wo aus er jedes Mal sieben Bergfahrten unternahm, die ihn für etwa eine Woche durch die bayerischen Alpen führten, an den Walchensee, nach Altlach und zur Hochkopfhütte, in die Ammergauer Alpen zur Halbammerhütte und Kenzenhütte, zum Königshaus am Schachen, zum Soiernhaus und nach Vorderriß. Den Herbst verbrachte er (nach der Abreise seiner Mutter) auf Schloss Hohenschwangau, von wo aus er auch die Baustelle von Schloss Neuschwanstein beaufsichtigte, das damals noch als Neue Burg Hohenschwangau bezeichnet wurde. München mied er ganz. Dennoch kam er als konstitutioneller Monarch seinen Amtsgeschäften, insbesondere den täglichen Unterschriften unter zahlreiche Regierungsdokumente und Gesetze, gewissenhaft nach, auch wenn die Minister oder ihre Abgesandten manchmal Mühe hatten, ihn in der Einsamkeit von Berghütten aufzusuchen. Das Kabinettssekretariat zog jeweils – in gebührendem Abstand – mit, sodass der König per Telegrafie jederzeit erreichbar war. Modernste Technik wie elektrische Beleuchtung verwendeten auch seine fantastischen Kutschen und Schlitten sowie die 24 Dynamomaschinen neben der Venusgrotte in Linderhof, die als erstes fest installiertes Kraftwerk der Welt gelten. In seinem Schlafzimmer in Hohenschwangau ließ er sich 1864 eine Felsengruppe einbauen, über die ein Wasserfall strömte, sowie einen Apparat zur Erzeugung eines künstlichen Regenbogens und einen Nachthimmel mit Mond und Sternen, die durch ein kompliziertes Spiegelsystem vom Obergeschoss aus beleuchtet wurden. Unter Einbezug aller technischen Mittel der Zeit schuf er sich eine Gegenwelt, in der er sich – fern vom Parlamentarismus und der Industrialisierung der Gründerzeit – als wahrer König empfinden konnte. Ludwig II. war durchdrungen von der Idee eines heiligen Königtums von Gottes Gnaden und verehrte seinen Namensvetter Ludwig XIV., den er um seine absolute Macht beneidete. Er verschlang Bücher über ihn und seinen Hof. Schloss Herrenchiemsee sollte eine einzige Hommage an den Sonnenkönig werden und auch Linderhof ist voll von Anspielungen auf ihn. Doch hätten die beiden Könige unterschiedlicher nicht sein können: Ihre Macht und Verfassungsrechte klafften weit auseinander. Der „Sonnenkönig“ lebte ein extrem öffentliches Leben, beginnend mit dem morgendlichen „Lever“, bei dem er vor Dutzenden von Würdenträgern nackt neben seinem Paradebett stand und dann Stück für Stück zeremoniell angekleidet wurde. Und ähnlich publikumswirksam ging es den ganzen Tag fort, bis zum öffentlichen coucher spät in der Nacht. Der menschenscheue Bayernkönig hingegen zeigte sich kaum je überhaupt in der Öffentlichkeit. In Linderhof besaß er einen versenkbaren Esstisch, damit ihn die Diener beim Auftragen der Speisen nicht störten. Seit etwa 1875 machte er zunehmend die Nacht zum Tage, was ihm den Spottnamen Mondkönig eintrug. Am frühen Abend stand er auf, nahm im Untergang der Sonne, gern auf den oberen Terrassengärten in Linderhof, sein Frühstück ein; die Nacht hindurch bearbeitete er Regierungsdokumente, las Bücher, plante an seinen Bauvorhaben, dinierte, fuhr spazieren, und am Morgen begab er sich zu Bett. Der Mangel an Tageslicht dürfte seine zunehmenden Depressionen befördert haben. Der übermäßige Genuss von Süßigkeiten und fehlende Zahnpflege forderten ihren Tribut: immer mehr litt er unter heftigen Zahnschmerzen. Sein Oberkiefer war bald zahnlos, der Unterkiefer wies nur noch eine geringe Anzahl lose sitzender Zähne auf. Auch nahm er stetig an Leibesfülle zu.[35] Auch dies trug zu seinem Rückzug von jeglichen öffentlichen Auftritten bei. Als Ersatz für soziale Kontakte steigerte Ludwig sich in seine Bauleidenschaft hinein. Nicht nur plante er minutiös den Bau und die Ausstattung seiner Schlösser (siehe Abschnitt unten), sondern entwarf immer neue, immer phantastischere Projekte, deren Aussicht auf Realisierung gering war, da bereits die begonnenen Bauten Unsummen verschlangen und ihn ständig in Finanznöte brachten. Diese permanente Planungs-Manie glich der Augusts des Starken, dessen Persönlichkeit ansonsten eher dem „Sonnenkönig“ ähnelte. Nachdem der Finanzminister Freiherr von Riedel 1884 die gröbsten Schulden durch eine Anleihe von 7 Millionen Mark gedeckt hatte, steigerte sich die Bausucht des Königs noch mehr.[31] Sein Schuldenberg war nun erheblich angewachsen, teilweise wurden die Bauarbeiten an seinen Schlössern bereits eingestellt. Die desaströse Finanzlage veranlasste ihn, Abgesandte nach Paris und andere Orte zu entsenden, um weitere Kredite aufzunehmen. In seiner Verzweiflung schmiedete er zeitweise sogar irreale Pläne wie die Gründung eines Geheimbundes zur Gewinnung von königstreuen Anhängern für einen Umsturz der konstitutionellen Verfassung und später für den Erwerb der Kanarischen Inseln als eigenes, absolutes Königreich.[15] Anfang 1886 verweigerte das Kabinett König Ludwig die Bürgschaft für einen Kredit in Höhe von sechs Millionen Mark, worin manche Biografen den Hauptanlass für die Entmündigung sehen. Es soll private finanzielle Hilfsangebote von Bankiers gegeben haben, die Ludwig aber nicht erreichten. Ludwig wandte sich daraufhin an Bismarck, der ihm am 14. April 1886 schrieb, er solle seinem Ministerium befehlen, die Bewilligung der erforderlichen Summen beim Landtag zu beantragen. Tatsächlich forderte Ludwig daraufhin die Vorlage des Anliegens im Landtag. Stattdessen leitete das Ministerium aber seine Entmündigung ein. EntmündigungLudwig II. wurde am 8. Juni 1886 auf Betreiben der Regierung durch die Ärzte Bernhard von Gudden, dessen Schwiegersohn Hubert von Grashey sowie Friedrich Wilhelm Hagen und Max Hubrich in einem Gutachten[36] aufgrund von Zeugenaussagen und ohne persönliche Untersuchung des Patienten für „seelengestört“ und „unheilbar“ erklärt[37] und damit die Regierungsunfähigkeit des bayerischen Königs bestätigt.[38] Anhand der von Ludwig vorgenommenen Amtshandlungen wie zuletzt der Einrichtung eines neuen Bezirksamtes in Ludwigshafen (Urkunde vom 3. Juni 1886, von ihm in Hohenschwangau unterzeichnet) ist allerdings keine Unzurechnungsfähigkeit zu erkennen. Am 9. Juni 1886 wurde Ludwig daraufhin durch die Regierung unter Johann von Lutz entmündigt. In der Nacht auf den 10. Juni erschien eine elfköpfige Kommission in Neuschwanstein, wo der Monarch sich aufhielt. Darunter waren Außenminister Friedrich Krafft von Crailsheim und der bei Ludwig in Ungnade gefallene ehemalige Oberststallmeister Maximilian Karl Theodor von Holnstein, der eine wichtige Rolle bei Ludwigs Kaiserbrief gespielt hatte, sowie von Gudden und Müller. Ludwig wurde jedoch von seinem Kutscher Fritz Osterholzer gewarnt und alarmierte die Füssener Gendarmerie, die das Tor von Neuschwanstein besetzte und die Kommission nicht einließ. Obendrein erschien die königstreue Baronin Spera von Truchseß, beschimpfte die Kommission und bedrohte sie mit ihrem Schirm. Nach einer halben Stunde im Regen musste die Kommission um 4:30 Uhr morgens wieder umkehren. Ludwig II. ließ sie daraufhin verhaften und im Torbau von Neuschwanstein einsperren, aber nachdem die Regentschaftserklärung beim Telegrafisten in Hohenschwangau eingetroffen war, wurde die Kommission nach einigen Stunden Gefangenschaft ohne Wissen des Königs freigelassen und kehrte dann unverrichteter Dinge nach München zurück.[39] Sein langjähriger Leibarzt Max Joseph Schleiß von Löwenfeld, der für das Gutachten nicht gehört worden war, äußerte sich noch am 10. Juni in einem Telegramm an die Redaktion der Allgemeinen Zeitung „Zur Berichtigung: Von der Existenz eines schweren Leidens welches seine Majestät, Ludwig II. an der Ausübung der Regierung dauernd verhindert, ist durchaus nicht überzeugt.“ Der letzte Brief, den Ludwig mit der Bitte um Nachforschung drei Tage vor seinem Tod geschrieben hat, ist an seinen Cousin Prinz Ludwig Ferdinand adressiert, dem er als einzigem aus der königlichen Linie der Wittelsbacher nahestand:[40]
Ludwigs Onkel Luitpold übernahm bereits am Tag nach der Entmündigung, am 10. Juni[41], als Prinzregent die Regierungsverantwortung, später auch für Ludwigs Bruder Otto. Am selben Tag tauchte eine – heute als Fälschung geltende – Gegenproklamation in 30.000 Exemplaren auf: „Der Prinz Luitpold beabsichtigt, sich ohne meinen Willen zum Regenten meines Landes zu erheben, und mein bisheriges Ministerium hat durch unwahre Angaben über meinen Gesundheitszustand mein geliebtes Volk getäuscht und bereitet hochverräterische Handlungen vor. […] Ich fordere jeden treuen Bayern auf, sich um meine treuen Anhänger zu scharen und an der Vereitelung des geplanten Verrates an König und Vaterland mitzuhelfen.“ (Bamberger Zeitung am 11. Juni). Die Flugblätter und die Ausgabe der Zeitung wurden jedoch schnell von der regierungstreuen Polizei beschlagnahmt. Die Münchner Polizeidirektion ermittelte am 22. Juni einen Herrn Schellenberger als Urheber der gefälschten Proklamation, einen mehrfach wegen Betrugsversuches vorbestraften Sachsen.[42] Den telegrafischen Ratschlag Bismarcks, sich sogleich in München dem Volk zu zeigen, beherzigte Ludwig nicht. Er verhielt sich trotz vieler Hilfsangebote nahezu völlig passiv. Ludwig hatte sich zwischenzeitlich mit seinem Flügeladjutanten Graf Alfred Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin beraten, der ihm vorschlug, sich eiligst nach München zu begeben und sich an seine Untertanen zu wenden. Diese Idee wies Ludwig ebenso zurück wie den Vorschlag, ins nahe Tirol zu fliehen. Nach moderner Ansicht ist das psychiatrische Gutachten unhaltbar, stattdessen werden andere psychische Erkrankungen angenommen: Heinz Häfner von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Gründer und langjähriger Leiter des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, konnte das „Geheime Hausarchiv“ der königlichen Familie einsehen, trug Material aus bisher unveröffentlichten Quellen, Landtagsstenogrammen und Archiven zusammen und rollte damit im Jahr 2004 den „Fall Ludwig“ noch einmal auf. Die Diagnose Guddens lautete auf Paranoia und Geistesschwäche. „‚Diese Schlußfolgerung ist heute nicht mehr zu halten‘, so Häfner. Nach dem Quellenstudium sei zweifelsfrei zu belegen, daß bei Ludwig II. keine Zeichen von Geistesschwäche und einer paranoiden Psychose vorlagen“, schreibt die Ärzte Zeitung.[43] Häfner kommt in seiner Studie über Ludwig vielmehr zum Schluss, dass die inneren Konflikte Ludwigs, etwa eine schon früh zu beobachtende Sozialphobie in Verbindung mit Scham- und Schuldgefühlen wegen seiner homosexuellen Neigungen, zur Entwicklung einer „nicht substanzgebundenen Sucht“ führten, wie sie etwa auch bei Glücksspielern vorliegt. Das Mittel der Sucht Ludwigs wurden seine Bauvorhaben. Der ständig wachsende Schuldenberg brachte ihn in zusätzliche äußere Schwierigkeiten. Diese, so Häfner, beeinträchtigten seine Handlungs- und Regierungsfähigkeit in durchaus erheblichem Maße. Wie z. B. bei Spielsüchtigen sei bei Ludwig ein zunehmender Realitätsverlust zu beobachten. Dagegen sei der König zu keinem Zeitpunkt geisteskrank, paranoid oder schizophren nach modernen Kriterien gewesen.[44] Auch der Münchner Psychiater Hans Förstl kam 2007 nach Auswertung von Dokumenten, darunter zuvor nicht freigegebenen Dokumenten des geheimen Wittelsbacher Hausarchivs, zum Ergebnis, dass die Diagnose Schizophrenie nicht aufrechterhalten werden kann. Er sah indes eine schizotype Persönlichkeitsstörung. Er äußerte den Verdacht, Ludwig habe zusätzlich in seinen letzten Lebensjahren an einer Demenz vom Typ Morbus Pick gelitten; Förstl leitete dies unter anderem aus dem Autopsiebefund des Jahres 1886 ab, der bei Ludwig eine deutliche Schrumpfung des Frontalhirns festgestellt hatte.[45] Tod im Starnberger SeeAm 11. Juni 1886 gegen Mitternacht kam eine neue Kommission nach Neuschwanstein. Bernhard von Gudden informierte den König über das Gutachten der vier Ärzte und über die Übernahme der Regentschaft durch Luitpold. König Ludwig verhielt sich, anders als von der Kommission befürchtet, diesmal ruhig und gelassen und antwortete mit Vorhaltungen, er sei ja niemals von Ärzten untersucht worden. Dennoch wurde er nun in Neuschwanstein in Gewahrsam genommen und am 12. Juni um 4 Uhr morgens nach Schloss Berg am Ufer des damals noch Würmsee genannten Starnberger Sees verbracht. Am 13. Juni, dem Pfingstsonntag des Jahres, durfte der König zwar nicht zur Messe, aber Gudden unternahm mit ihm einen Spaziergang im Schlosspark am See, begleitet von zwei Pflegern. Kurz nach 18 Uhr erinnerte der König Gudden an einen geplanten zweiten Spaziergang, zu dem beide aufbrachen, wobei Gudden mitteilte, um 20 Uhr zum Souper zurück sein zu wollen. Auf Anweisung Guddens mussten, im Gegensatz zum Vormittag, die Pfleger zurückbleiben. Als beide um 20 Uhr nicht zurück waren, wurde zunächst vermutet, sie hätten irgendwo Unterschlupf vor dem Regen gesucht, der inzwischen eingesetzt hatte. Es wurden zunächst einzelne Gendarmen ausgeschickt, schließlich alle verfügbaren Männer mit Lampen und Fackeln. Gegen 22 Uhr fand ein Hofoffiziant Überrock und Leibrock des Königs im Wasser, eine halbe Stunde später fand man den König und von Gudden maximal 25 Schritte vom Ufer entfernt im seichten Wasser. Die später aufgefundene Taschenuhr des Königs war um 18:54 Uhr stehen geblieben, weil Wasser eingedrungen war, die Taschenuhr Guddens aus gleicher Ursache dagegen erst um 20:10 Uhr. Gefunden hatten die beiden der Schiffer Jakob Lidl, der Assistenzarzt Dr. Müller und der Schlossverwalter Huber, die von einem Ruderboot aus suchten.[46] Nach der offiziellen Darstellung habe Gudden den Regenten an einem Suizid hindern wollen und sei dabei selbst zu Tode gekommen. Diese Version wurde jedoch schon bald bezweifelt. Um den Tod Ludwigs II. ranken sich von Anfang an und bis heute zahlreiche Gerüchte, die u. a. einen möglichen Fluchtversuch (mit dem Ziel, seine Verwandte Elisabeth[47] aufzusuchen) bzw. die Erschießung[48] des Königs in Erwägung ziehen. Wolfgang Gudden, ein Nachfahre Bernhard von Guddens, vermutete dazu (in Einstimmung mit Äußerungen von Oskar Panizza, etwa in Der König und sein Narrenmeister) in seiner Doktorarbeit: „König Ludwig, der sehr wahrscheinlich das Schloß bereits in suizidaler Absicht verlassen hatte, überrascht Gudden völlig, als er zum 15 m entfernten Seeufer eilt. Es kommt zur entscheidenden körperlichen Auseinandersetzung mit Gudden, in deren Verlauf der König Gudden erheblich an Stirn und im Gesicht verletzt, ihm einen kräftigen Faustschlag gegen Kopf und auf den Zylinderhut versetzt, um Guddens Versuche, ihn vom Suizid abzuhalten, zu unterbinden. Hierbei wurde Gudden vermutlich gewürgt und untergetaucht, wobei er bewußtlos wurde und ertrank. Den Toten noch eine kleine Strecke mitschleifend, strebte der König dem offenen Wasser zu und »vollzog Suizid durch Ertrinken«.“[49][50] Obduktion und BeerdigungAm Pfingstmontag, dem 14. Juni 1886, wurde um 20 Uhr in Schloss Berg der Leichnam ausgesegnet. Der Wagen mit dem Sarg traf am 15. Juni um 2 Uhr früh in der Münchner Residenz ein. Bei der dort durchgeführten pathologischen Untersuchung des toten Königs am selben Tag von 8 Uhr bis 13 Uhr durch 13 Ärzte war auch der Leibarzt des Königs, Max Joseph Schleiß von Löwenfeld, anwesend, der nicht von einer Krankheit des Königs überzeugt war. Laut offizieller Mitteilung wurde die Diagnose der Irrenärzte jedoch in vollem Maße bestätigt. Das Ergebnis der Autopsie wurde nur teilweise für die Öffentlichkeit freigegeben.[51] Nach der Sektion wurde sofort die Einbalsamierung vorgenommen, die um 20 Uhr beendet war. Danach wurde der Leichnam drei Tage im Ornat des Hubertus-Ritterordens[52] in der Hofkapelle aufgebahrt. Ludwig wurde am 19. Juni 1886 nach einem Leichenzug durch München in der Gruft der Michaelskirche in der Neuhauser Straße beigesetzt. Sein Herz wurde getrennt bestattet und am 16. August 1886 in die Gnadenkapelle von Altötting übertragen.
OrdenAls König von Bayern war Ludwig II. auch Großmeister der bayerischen Ritter- und Verdienstorden, von denen der Hubertusorden, der Georgsorden, der Militär-Max-Joseph-Orden und der Verdienstorden der Bayerischen Krone die höchsten waren. Schlösser
Anregungen für die Architektur seiner Schlösser holte sich Ludwig auf seiner Reise im Juli 1867 in Paris und Schloss Pierrefonds sowie im August 1874 bei seiner Reise nach Schloss Versailles und Schloss Fontainebleau.[53] Auch die Wartburg in Eisenach besuchte er 1867, die später als Vorbild für Neuschwanstein galt. Durch den Tod seines 1848 abgedankten Großvaters Ludwig I. konnte der junge König ab März 1868 auch dessen Apanage einbehalten, wodurch ihm umfangreichere finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Schloss Neuschwanstein1868 entwarf König Ludwig in einem Brief an Richard Wagner seine Vorstellungen für eine neue Burg Hohenschwangau, das heutige Neuschwanstein. Sein Königlicher Hofbauintendant Eduard von Riedel hatte im Winter 1867/68 erste Grundrisse und Schnittzeichnungen angefertigt. Der Grundstein wurde am 5. September 1869 gelegt. 1884 wurde der Palas im Schloss Neuschwanstein fertiggestellt, das Ludwig zum bevorzugten Wohnsitz erwählen wollte. Er verbrachte allerdings nur 172 Nächte auf Schloss Neuschwanstein.[54] Königshaus am SchachenAuf dem Schachen im Wettersteingebirge ließ sich Ludwig von 1869 bis 1872 ein alpines Holzhaus, das Königshaus am Schachen, bauen. Ab Mitte der 1870er Jahre verbrachte Ludwig dort seine Geburtstage in der Abgeschiedenheit der Berge. Das schlicht gehaltene Gebäude beherbergt im ersten Stock den im orientalischen Stil gehaltenen Türkischen Saal.[55] Als Vorlage diente Schloss Eyüp bei Istanbul, eine Residenz von Sultan Selim III.[56] Schloss LinderhofVon 1870 bis 1878 wurde Schloss Linderhof in mehreren Um- und Ausbauphasen anstelle des sogenannten Königshäuschens des Vaters Max II. erbaut. Schloss Linderhof ist das kleinste der drei von Ludwig II. erbauten Schlösser, aber auch das einzige, welches voll ausgebaut und auch länger von ihm bewohnt wurde. Zum Schloss gehört ein großer Park mit der bekannten Venusgrotte sowie zahlreichen weiteren Pavillons und anderen Kleinbauten. Weitere Großprojekte sollten ursprünglich ebenfalls in der Umgebung von Linderhof entstehen, wurden aber entweder nicht mehr verwirklicht (wie etwa ein chinesischer Sommerpalast) oder aus Platzgründen an anderen Orten ausgeführt (Schloss Herrenchiemsee). Schloss HerrenchiemseeAm 26. September 1873 kaufte Ludwig die Herreninsel im Chiemsee, wo ab 21. Mai 1878 das Schloss Herrenchiemsee nach Ludwigs Vorstellungen als neues Schloss Versailles entstehen sollte. Von der geplanten Dreiflügelanlage wurde nur der Mitteltrakt fertig errichtet und weitgehend mit der geplanten Innenausstattung versehen. Der bereits im Rohbau vollendete Nordflügel wurde nach dem Tod des Königs wieder abgerissen. Wie schon in dem früher begonnenen Linderhof, steht auch Herrenchiemsee unter dem Zeichen des französischen Absolutismus´ von Louis XIV von Frankreich. Dies wurde in der Zeit des beginnenden Nationalismus, vor allem nach dessen Tod, keineswegs verstanden. Vielmehr bot es Anlass, Ludwigs Gesinnung als undeutsch und damit "abnorm" zu kritisieren. Für Ludwig jedoch hatte diese Hinwendung zu den Bourbonen eine verständliche Ursache. Bayerns Königtum war von Napoleon eingesetzt worden. Dagegen konnte Ludwig das religiös fundierte „sakrosankte Königtum“ Frankreichs durch seine „Taufgenealogie“ (Alexander Rauch, s. Lit.) für sich in Anspruch nehmen, nämlich über das Sakrament der Taufe. Ludwigs Taufpate war der Großvater Ludwig I. und der Pate bei dessen Taufe in Straßburg war wiederum der Bourbone Louis XVI. Dass diese Zusammenhänge damals nicht auf Verständnis fallen konnten, erklärt, dass Ludwig den Besuch der Schlösser untersagte. Weitere Pläne1883 erwarb Ludwig die 1277 m hoch gelegene Ruine der Burg Falkenstein in der Nähe der Schlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau. Der Theatermaler Christian Jank hatte ihm einen romantisierenden Entwurf einer gotischen Burg mit zahlreichen Zinnen und Türmen gezeichnet. Max Schultze arbeitete 1884 als Architekt einen Entwurf aus, der ein halbes Jahr vor Ludwigs Tod von Julius Hofmann überarbeitet wurde. Außer einer Straße und einer Wasserleitung zur Ruine wurde nichts mehr von den Plänen realisiert. Im letzten Jahr vor seinem Tod erteilte Ludwig seinem Architekten Julius Hofmann einen weiteren Auftrag für ein chinesisches Sommerschloss. Es sollte vermutlich am Plansee in Tirol entstehen und war dem Pekinger Winterpalast nachempfunden. Das Vorhaben ging nicht über erste Grund- und Aufrisse, die dem König im Januar 1886 vorgelegt wurden, und eine detailliertere Planung im April 1886 hinaus. Ferner plante Ludwig den Bau eines großen byzantinischen Palastes in der Nähe von Linderhof. Appartements in Landshut und MünchenLudwig II. ließ sich von 1869 bis 1873 im zweiten Obergeschoss des Fürstenbaues der Burg Trausnitz in Landshut prächtige Räume im Stil der Neorenaissance einrichten,[57][58] die bei einem Brand 1961 untergingen. Auch an der Münchner Residenz ließ Ludwig viele Veränderungen vornehmen, die jedoch seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erhalten sind. Zuerst gestaltete er seine Prinzenwohnung im Dachgeschoss des Nordwestpavillons des Festsaalbaues im Stil Ludwigs XIV. um. Zudem wurden für seine Verlobte Prinzessin Sophie in Bayern Räumlichkeiten in den Hofgartenzimmern hergerichtet, die sie allerdings nie bewohnen sollte, da die Verlobung zuvor aufgelöst wurde. Er setzte auch die Tradition seines Großvaters Ludwig I. fort, indem er über dem Theatinergang einen eigenen Gemäldezyklus von Wagners Ring-Tetralogie erstellen ließ. Um 1870 ließ der König über dem Nordwestflügel des Festsaalbaus einen großen Wintergarten durch den Hofgartendirektor Carl Effner und den Theatermaler Christian Jank errichten. Der Teich erwies sich aber als leck, sodass der Wintergarten nach Ludwigs Tod beseitigt wurde, weil das Wasser in die unteren Etagen eindrang. Für seinen Geburtsort Schloss Nymphenburg hat sich Ludwig dagegen wenig interessiert, aber die zweite große Barockresidenz, das monumentale Neue Schloss Schleißheim, profitierte von der Bauleidenschaft des Königs: Nachdem zum Beispiel für Herrenchiemsee zahlreiche Attikafiguren gegossen worden waren, kamen die Gipsmodelle für diese Gussarbeiten in die Schleißheimer Arkaden. Carl Effner erbaute das Brunnhaus für die Wasserspiele im Park, den Ludwig nach historischen Vorlagen 1865–68 restaurieren ließ. FinanzierungDie Bauprojekte Ludwigs wurden aus dem königlichen Privatvermögen finanziert und verursachten dort, in der sogenannten Kabinettskasse, erhebliche Defizite. Die ihm zur Verfügung stehende Zivilliste war auf jährlich 4,2 Millionen Gulden festgelegt. 1884 hatte er 7,5 Millionen Gulden Schulden, die durch Anleihen gedeckt werden mussten. Der König war schließlich mit einem „Jahresgehalt“ im Rückstand, und zum Weiterbau seiner Schlösser hätten 1887 noch etwa drei „Jahresgehälter“ (15 Millionen) gefehlt. Nach seinem Tod zahlte das Haus Wittelsbach bis 1902 alle durch König Ludwigs Bautätigkeit angefallenen Schulden vollständig an die Gläubigerbanken zurück. Historische BedeutungLudwig II. war ein Monarch, der nach einem mystisch geprägten Idealbild eines christlichen Königtums strebte. Er zog sich in Traumwelten zurück und setzte mit erheblichem finanziellem Aufwand durch, dass Teile davon auch architektonische Gestalt annahmen. Ähnlich motiviert war sein Engagement für das Theater und die Oper. Das drückte sich vor allem in seiner Förderung Richard Wagners aus und in der Einrichtung der Richard-Wagner-Festspiele im Bayreuther Festspielhaus. Damit nahm er bedeutenden Einfluss auf die kulturelle Entwicklung Deutschlands im späten 19. Jahrhundert. Die Künstler dankten ihm das schon zu Lebzeiten, Anton Bruckner etwa widmete ihm 1883 seine 7. Symphonie. Die Königsschlösser, die er errichten ließ, waren für den bayerischen Staat damals ohne Nutzen und finanziell eine große Belastung, heute sind Herrenchiemsee, Neuschwanstein und Linderhof die bedeutendsten touristischen Anziehungspunkte in Bayern. Sie wurden nach seinem Tod schon bald zur öffentlichen Besichtigung freigegeben. Daneben förderte Ludwig II. mit seinen Schlossbauten Kunst und Handwerk. Die Gartenanlagen der Schlösser Herrenchiemsee und Linderhof wurden durch den Hofgartendirektor Carl von Effner gestaltet. Eine Besonderheit stellt die Pferdegalerie dar, die im Auftrag Ludwigs II. von Friedrich Wilhelm Pfeiffer geschaffen wurde. 26 Porträts der königlichen „Leibreitpferde“ dokumentieren die Begeisterung für den Reitsport und die besondere Beziehung des Königs zu diesen Tieren. Trotz aller Romantik tat sich Ludwig II. auch auf dem Gebiet der Förderung neuer Technologien hervor. 1867 besuchte er mit seinem Großvater König Ludwig I. die Pariser Weltausstellung. 1868 gründete er die „Polytechnische Schule München“ mit Hochschulstatus, die heutige Technische Universität München und zahlreiche wissenschaftliche Institute. Von den Museen Bayerns gehen das Architekturmuseum der Technischen Universität München, die bedeutendste Sammlung ihrer Art in Deutschland, und das Bayerische Armeemuseum auf Ludwig zurück. Sein Interesse für Fototechnik zeigte sich in der Tatsache, dass er sich in Schloss Hohenschwangau ein Fotolabor einrichten ließ. Daneben förderte er die Drucktechnik, indem er die Erfindung des Lichtdrucks durch Joseph Albert finanzierte. Das weltweit erste Elektrizitätswerk mit einer Dynamomaschine stand in Schloss Linderhof. Sein sogenannter Nymphenschlitten gilt als das erste elektrisch beleuchtete Fahrzeug der Welt. Auf dem Gebiet der Chemie wurde auf seinen Befehl hin der Farbstoff Indigo erstmals künstlich entwickelt. In Ludwigs Schlössern wurden bereits Stahlbau und Elektrizität eingesetzt. Es gab Zentralheizung, Telefon, beheizbare Bassins, elektrische Rufanlagen für die Dienerschaft, Wasserklosetts sowie Aufzüge, und in der Venusgrotte von Schloss Linderhof stand eine Wellenmaschine zur Verfügung. Zur Entwicklung und Erprobung der Flugtechnik wurden finanzielle Mittel bereitgestellt. Seine technische Verspieltheit drückte sich auch in dem Entwurf eines Flugwagens in Pfauenform aus. Mit ihm wollte er über den Alpsee vor seinem Schloss schweben. Der Flugwagen mit einem Ballon darüber sollte, mittels eines Seiles, von einer Dampfmaschine gezogen werden. Der Ludwig-II.-Experte Jean Louis Schlim bescheinigt dem König starke Technikbegeisterung, allerdings nicht um der Technik willen, sondern zur Verwirklichung seiner Träume.[59] AhnentafelRezeptionAusgangs des 19. Jahrhunderts galt Ludwig II. einem Autor wie dem Italiener Gabriele D’Annunzio in dem Roman Le vergini delle rocce in beispielhafter Erwähnung als eine Personifikation des Fin de siècle in Anbetracht der Schwermut und mutmaßlichen Arroganz des Königs. Er sei ein wahrer König, doch nur der König seiner Träume: „[…] Luigi di Baviera è veramente un Re, ma Re di sé medesimo e del suo sogno.“[60] Zehn Jahre nach Ludwigs Tod wurde auf Betreiben des Prinzregenten Luitpold oberhalb des Todesortes mit dem Bau einer Votivkapelle im frühromanischen Stil begonnen, die 1900 geweiht wurde.[61] König Ludwig II. gilt vielen Bayern als der „Kini“ (bairisch für „König“) schlechthin und als Inbegriff der „guten alten Zeit“. Zahlreiche Lieder ranken sich um sein Leben und seinen Tod. Bis heute gibt es aktive Ludwig-II.-Vereine in ganz Bayern (einschließlich Franken und Schwaben), die im Verband der Königstreuen in Bayern zusammengeschlossen sind[62] und regelmäßig Patriotentreffen abhalten und an die Ermordung des Königs glauben.[63] Ein bekannter Verein ist der Geheimbund der sogenannten Guglmänner. Die geradezu grenzenlose Verehrung, die der König jedoch nicht nur im „einfachen Volk“, sondern auch bei Kulturrepräsentanten und in allen Gesellschaftsschichten genoss, kommt in der Präambel zu Michael Georg Conrads Romanbiographie Majestät von 1902 zum Ausdruck. Hier heißt es:
In der südbayerischen Region Pfaffenwinkel führt der König-Ludwig-Fernwanderweg von Berg am Starnberger See, beim Gedenkkreuz beginnend, über Herrsching am Ammersee, Andechs, Dießen, Wessobrunn, Hohenschwangau bis nach Füssen. Die Bayerische Landesausstellung 2011 widmete sich vom 13. Mai bis zum 16. Oktober unter dem Motto Götterdämmerung: König Ludwig II. und seine Zeit im Schloss Herrenchiemsee dem bayerischen König und erregte mit rund 570.000 Besuchern ein ungewöhnlich hohes Publikumsinteresse.[65] Aus der Fülle künstlerischer Annäherungen ist im Folgenden eine Auswahl wiedergegeben: Schriftwerke
Bühnen- und Filmwerke
Musik
Tagebuch-Aufzeichnungen
Laut Wilfrid Blunt erfolgte die Publikation der Tagebuch-Auszüge auf Grundlage von Abschriften ausgewählter Stellen von zwei Tagebüchern Ludwigs, die Johann von Lutz erstellte, als er auf der Suche nach einem Beweis für Ludwigs Unfähigkeit zu Regieren war. Um in den Besitz der Tagebücher zu kommen, hatte er vermutlich einen königlichen Diener bestochen. Die Abschriften hätten später im Geheimen Staatsarchiv aufbewahrt werden sollen, wurden von Lutz jedoch zurückbehalten, als er sein Amt aufgab. So gelangten sie in den Besitz von Lutz' Stiefsohn Erwin Riedinger. Einige Fachleute zweifeln die Genauigkeit der Abschriften an; diese Frage kann allerdings nicht geklärt werden, weil die Originale eines Teiles der Tagebücher während des Zweiten Weltkriegs verbrannt sind. Manche nehmen an, Lutz habe die Abschriften absichtlich zurückbehalten, weil ein Vergleich mit den echten Tagebüchern ihn in schlechten Ruf gebracht hätte.[24] Literatur
WeblinksCommons: Ludwig II. (Bayern) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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Wikisource: Ludwig II. von Bayern – Quellen und Volltexte
Einzelnachweise
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