FunktionstheorieDie Funktionstheorie ist Teilgebiet der Musiktheorie und gehört zur Harmonielehre. Sie beschreibt die Verhältnisse und Spannungen zwischen den Akkorden in dur-moll-tonaler Musik. Hugo Riemann erarbeitete sie 1893. Sie wurde vor allem durch Wilhelm Maler und Diether de la Motte ausgearbeitet und erweitert. NutzenDie Funktionstheorie dient der Musikanalyse. Harmonische Abläufe können auf ihrer Grundlage bestimmt und beschrieben werden. Sie setzt dabei die Hörerwartung bestimmter Abfolgen von Harmonien voraus, zum Beispiel Kadenzen und Sequenzen. Ebenso kann mit ihrer Hilfe auch die Gliederung längerer Musikstücke betrachtet werden. Die Funktionstheorie lässt sich vor allem auf die Harmonik der Musik des Barock, der Klassik, dem Großteil der Romantik, aber nur auf kleinere Teile der Musik der Moderne anwenden. Auch viele harmonische Beziehungen innerhalb der Jazz- und Popmusik lassen sich mit der Funktionstheorie erfassen. In der Jazztheorie herrscht allerdings die Analyse nach der Stufentheorie und der Akkordskalentheorie vor. In der populären Musikliteratur werden einzelne Begriffe der Funktionstheorie und Stufentheorie oft synonym verwendet. Beide Systeme sind legitime und meist einfach nachvollziehbare Modelle zur Beschreibung harmonischer Zusammenhänge. Vom Kontext hängt ab, welchem Verfahren der Vorzug gegeben wird. Allerdings ist die Wahl zwischen Stufen- oder Funktionstheorie auch stark ortsabhängig. So wird außerhalb von Deutschland größtenteils ausschließlich mit der Stufentheorie gearbeitet, während hauptsächlich exklusiv in Deutschland auch heute noch häufig die vielmals kritisierte Funktionstheorie zum Einsatz kommt.[1][2] Die FunktionenHauptfunktionenIn der Funktionstheorie gilt der Dreiklang auf der ersten Stufe einer Tonart, die sich in einem bestimmten Zeitabschnitt manifestiert, als die Tonika (in der Stufentheorie: 1. Stufe) dieses Abschnitts. Zu ihr gesellen sich zwei weitere Hauptfunktionen, und zwar die nächsten quintenreinen Verwandten: die Dominante (Oberquinte, 5. Stufe) und die Subdominante (Quarte bzw. Unterquinte, 4. Stufe). Die Funktionen selbst werden in der Funktionstheorie mit Buchstaben bezeichnet, wobei Dur-Funktionen Großbuchstaben und Moll-Funktionen Kleinbuchstaben erhalten. NebenfunktionenDazu kommen die Nebenfunktionen, die im Terzabstand zu den Hauptfunktionen stehen. Zur symbolischen Darstellung der Nebenfunktionen wird den Hauptfunktionen ein Buchstabe angehängt. Die Nebenfunktionen umfassen mehrere Gruppen:
Beispiele für Parallelen: Tp in C-Dur ist a-Moll. tP in a-Moll ist C-Dur. Vermollungen und Verdurungen gibt es auch für jede Hauptfunktion. Sie werden immer durch Groß- oder Kleinschreibung angedeutet (die vermollte Subdominante in einem Dursystem wird beispielsweise mit s statt S bezeichnet). Kadenzen, Schlüsse und ModulationenDie Tonika wird durch Kadenzen gefestigt. Die einfachsten Kadenzen sind D-T (authentischer Schluss) und S-T (plagaler Schluss). Als Grundmodell für Kadenzen wird in der Regel die Vollkadenz T-S-D-T angenommen. Findet in einer Werkpassage ein Übergang von einer Tonart zu einer anderen durch diatonische, chromatische oder enharmonische Modulation statt, gilt die neue Tonart bei der Analyse solange als unbestätigt, bis eine authentische oder seltener auch plagale Kadenz folgt. Kann ein Akkord nicht nur als Funktion der bisherigen, sondern auch als Hauptfunktion der neuen Tonart begriffen werden, spricht man von Hauptzwischenfunktionen. Zu diesen gehört insbesondere die Zwischendominante, die nur im Fall von diatonischen Modulationen überhaupt möglich wird. Zusätze in Form von ZahlenAlle Symbole können mit Zusätzen in Form von Zahlen und Buchstaben versehen werden. Hochgestellte Zahlzusätze hinter der Funktionsbezeichnung zeigen Zusatztöne an. Unter das Funktionssymbol geschriebene Zahlen bezeichnen den Basston des Akkords im intervallischen Verhältnis zum Grundton der jeweiligen Funktion. Dreiklänge in Grundstellung werden ohne Zusatz geschrieben. Die häufigsten Zusätze:
Andere Zeichen und Symbole
Funktionsharmonische Analyse eines Bach-ChoralsObwohl Bach die Funktionstheorie nicht bekannt war, lassen sich seine Choräle (in Grenzen) mit ihr beschreiben. Die folgende Analyse erhebt (natürlich) keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Sie ist ebenso nur eine Interpretation des Chorals, andere sind durchaus denkbar. Gut zu sehen ist, dass die Komposition wegen der vielen kleinen Bewegungen in den einzelnen Stimmen nur sehr kompliziert vertikal, also harmonisch, beschrieben werden kann, was auf eine starke lineare Komponente zurückzuführen ist. Die Funktionstheorie wird dieser Musik eigentlich nicht gerecht, da harmonische Strukturen zu dieser Zeit vom Generalbass her gedacht wurden. Dennoch: die funktionsharmonische Analyse ist gängige Praxis, auch wenn sie schnell an ihre Grenzen in Bezug auf Übersichtlichkeit und Vollständigkeit stößt.
Die vorliegende Analyse ist allerdings zwecklos, wenn sie nicht interpretiert wird. Im Grunde ist die Übersetzung in Funktionssymbole lediglich eine verallgemeinernde Betrachtung des komponierten Spezialfalls. Ein Ansatzpunkt der Interpretation wäre zum Beispiel die Beschreibung der harmonischen Dramaturgie: Der erste Teil (bis zum Wiederholungszeichen) moduliert zur Dominante, was als bekanntes Prinzip der Sonata bzw. später der Sonatenhauptsatzform zu deuten wäre. Nachdem die Tonika zu Beginn des zweiten Teils zunächst gefestigt wurde (die Subdominante hat hier entscheidenden Anteil), entfernt sich der Satz sehr weit von ihr, die beiden verkürzten Zwischendominanten bieten im gleichen Zug eine neue Klangqualität. Nach der längsten Zäsur auf der erreichten Subdominantparallele etabliert sich wieder die Tonika, auffällig ist auch, dass die harmonische Bewegung zum Ende hin ruhiger wird, und das vollständige Fehlen von Zwischendominanten glättet den abschließenden Weg zum Grundklang. Besonders hervorzuheben wäre hier am Ende die zweimalige Schlusswendung T-S-D-T, sowie die Betonung (durch starke zeitliche Ausdehnung) der Dominante als vorletztem Klang. Ein weiterer, möglicher Betrachtungsgegenstand wäre die Behandlung von Umkehrungen, im Besonderen die Stimmführung des Basses: Septimen werden ausnahmslos mit einem Sekundschritt nach unten fortgeführt, Terzen haben ebenfalls eine schrittige Umgebung usw. EinschränkungenNicht alle harmonischen Verwandtschaften und Fortschreitungen lassen sich mit Hilfe der Funktionstheorie gut beschreiben. Funktionstheorie ist vorrangig nur dort anwendbar, wo es sich um mindestens in Dreiklangsharmonien konzipierte Musik handelt, der eine zentrale Dur- oder Molltonart zugrunde liegt. Daher ist die Funktionstheorie als Instrument der Analyse in dem Maße ungeeignet, wie die Musik diesen Bedingungen nicht entspricht. So ist im Besonderen ein Großteil der Kunstmusik des 20. und 21. Jahrhundert sowie die Musik der Renaissance mit Mitteln der Funktionstheorie häufig nicht zufriedenstellend bis nahezu unmöglich zu erfassen: Erstere, da ein Großteil der Kunstmusik der Moderne auf nicht traditionellen Kompositionstechniken wie der Polytonalität und Atonalität beruht; letztere, da die Musik der Renaissance (welche zum Großteil polyphone Vokalmusik ist) viel mehr horizontal als vertikal sowohl gedacht als auch musikalisch umgesetzt wurde. Natürlich bilden sich auch in der Musik der Renaissance Harmonien und Harmoniefolgen, eine Deutung als Funktionen, also Hinführungen zu folgenden Harmonien wird aber als nicht stilgemäß angesehen. Genauso liefert die Funktionstheorie bei bestimmten harmonischen Verläufen wie etwa Quintfallsequenzen (besonders häufig im Barock) oder Akkorden, die auf nicht diatonischen Skalenstufen fußen (wie besonders häufig in Pop oder Jazz eingesetzt, etwa Tritonussubstitution oder Modal Interchange) keine Erklärungen in Form von Harmoniefolgen. Solche harmonischen Vorgänge lassen sich mit der rein beschreibenden Stufentheorie zurückhaltender analysieren, es werden dabei keine funktionalen Zusammenhänge unterstellt. Auch die vorbarocke und spätmittelalterliche Musik (Ars nova) funktioniert eher nach melodischen bzw. kontrapunktischen Gesetzmäßigkeiten. Der harmonische Verlauf ergibt sich aus den Regeln des Fortschreitens innerhalb einer Stimme und des Verhältnisses jeweils zweier Stimmen zueinander, nicht durch eine übergeordnete harmonische Struktur. Die daraus entstehende Abfolge von Zusammenklängen ist allerdings der Ursprung unseres sich später entwickelnden Harmonieempfindens. Siehe auchLiteratur
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Einzelnachweise
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