Wagner arbeitete im Anschluss an sein Studium in Hunedoara als Deutschlehrer und später als Journalist. Nachdem er sich geweigert hatte, eine Jubelreportage zum Nationalfeiertag zu verfassen, verlor er seine Anstellung.[7] In Timișoara trat er dem Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis bei, dem neben anderen auch Herta Müller, Ilse Hehn, Helmuth Frauendorfer und Horst Samson angehörten. Nachdem Nikolaus Berwanger, der Mitbegründer des Literaturkreises, im Herbst 1984 von einer Auslandsreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht nach Rumänien zurückgekehrt war,[8] entschlossen sich auch Richard Wagner und seine damalige Ehefrau Herta Müller, Anträge zur endgültigen Ausreise zu stellen. Beide konnten 1987 in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln.[9] Sie waren ab 1979 ein Paar, ab 1984 verheiratet;[10] 1989 trennten sie sich. Wagner hatte sein privates Archiv 2013 dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München übergeben. Die Literaturwissenschaftlerin Christina Rossi, die es erforschte, hat berichtet, aus den darin enthaltenen Akten gehe hervor, dass Wagner und Müller noch in Deutschland Morddrohungen des rumänischen Staatsapparates erhalten hätten.[11]
Wagner lebte als Schriftsteller und freier Journalist in Berlin.[9] 2012 erkrankte er an Krebs und überlebte die Krankheit nur knapp.[12] Bereits 2003 war bei Wagner Parkinson diagnostiziert worden. Während Wagner anfangs trotz der Erkrankung schreiben und veröffentlichen konnte, zwang ihn der zunehmend schwere Verlauf schließlich dazu, das Schreiben weitgehend einzustellen.[12] Wagner starb im März 2023 im Alter von 70 Jahren in Berlin.
Werk
Wagner debütierte bereits als Schüler mit Gedichten und blieb dem Genre der Lyrik sein Leben lang treu. Zwischen 1973 und 2017 publizierte er zwölf Gedichtbände; mit dem letzten Band Gold (2017) eine Auswahl aus allen knapp 1000 geschriebenen Gedichten sowie zahlreiche, die zuvor nur in Zeitschriften abgedruckt waren oder unveröffentlicht im Archiv des Dichters vorlagen.[13] Wagner, der seit Beginn seines lyrischen Schreibens in der Tradition Bert Brechts, später Rolf Dieter Brinkmanns und der Dichter der Beat Generation, für einen kritischen und wachen Umgang mit der Wirklichkeit eintrat, hinterfragte anfangs besonders die engen Traditionen und konventionellen Denkweisen der deutschen Minderheit, der er selbst angehörte; später mündete diese Haltung in die Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Regime Ceaușescus: seine Kritik richtete sich primär nicht gegen die Politik, sondern gegen die Menschen, die sich von politischer Ideologie einwickeln lassen, aus Angst und Naivität keine Aktion entwickeln und in Gang setzen.
Der Dichter Franz Hodjak schrieb über seine Lyrik bereits 1973: „Wagners Gedichtstrukturen sind äußert luzide durchkomponiert und lassen deutlich zwei Tendenzen erkennen: einerseits die Neigung zu einer überaus plastischen Vergegenständlichung der lyrischen Substanz und andererseits den Hang zum abstrakteren poetischen Diskurs. Der poetische Diskurs ist immer nüchtern, unterkühlt, mit kargem Wortmaterial aufgebaut, er wird zielbewusst gestartet, verläuft sich dann scheinbar in ganz Belanglosem, um überraschend in eine effektvolle, genau vorausberechnete Schlußpointe einzumünden.“[14] Die Lyrik, die Wagner nach seiner Ausreise in die Bundesrepublik schrieb, wandelte sich mit seiner Lebenswelt und wurde introspektiver, knapper und schließlich wieder aphoristischer. „Fragmentarische Stadtbilder und die Beobachtung der Lebensvergessenheit der Konsumgesellschaft gewinnen durch die größere Nüchternheit des Tons und der Konstruktion der Gedichte zugleich an poetischer Schärfe wie an Suggestivkraft.“[15]
Schon einige Jahre nachdem er frühe Gedichte publiziert hatte, wandte sich Wagner der Prosa zu und pflegte dabei zunächst die Kurz- und Kürzestprosa in mehreren eigenständigen Bänden und regelmäßigen Publikationen in deutschsprachigen Zeitungen in Rumänien. Die teilweise der surrealistischen, phantastischen und absurden Literatur nahestehenden Fragmente und Skizzen gehören zum Besten, das Wagner in der Prosa vermochte. Dennoch gab er das Genre bald zugunsten des Romans auf. Bereits kurz vor der Ausreise ging er zum Genre der etwas längeren Erzählung über; in Deutschland widmete er sich dann erstmals und intensiv dem Genre des Romans. Zu seinen wichtigsten und erfolgreichsten Romanen gehören Das reiche Mädchen (2007) und Habseligkeiten (2004).[16] Zeitgleich betätigte er sich als Journalist und Essayist und publizierte 2011 gemeinsam mit Thea Dorn den Bestseller Die deutsche Seele – ein Essaywerk, das typisch deutsche Begriffe und Kulturgüter diskutiert.
Wagner war jahrelang Mitglied des publizistischen Netzwerks „Die Achse des Guten“.
In seiner zuletzt erschienenen Prosa Herr Parkinson, über die Barbara Möller schrieb: „‚Herr Parkinson‘ ist ein Selbstporträt des Künstlers als kranker Mann. Schonungslos. Lakonisch. Zornig. Witzig. Traurig“,[17] setzte Wagner sich erzählerisch mit seiner Krankheit auseinander. „Das Buch ist jedoch in erster Linie kein Krankheitsbericht, sondern der schonungslose innere Monolog eines durch die Einwirkungen von Krankheit und Medikamenten physisch wie psychisch derangierten Erzählers, dessen Erkrankung sein gesamtes Leben umwirft, beansprucht und herausfordert.“[12]
Zuletzt erschien im Jahr 2017 unter dem Titel Poetologik ein langes literaturwissenschaftliches Gespräch mit Wagner. In diesem Band sind auch zahlreiche Essays und Vorträge Wagners zu Literatur und Sprache abgedruckt.
Wagners Archiv im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas
Aufgrund seiner Krankheit war es Wagner ein Anliegen, sein privates und literarisches Archiv noch zu Lebzeiten zu sichern. Im Jahr 2013 übergab er dieses in Form eines Vorlasses an das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. (IKGS) an der LMU München. Dort wurde sein gesamtes Archiv in den Jahren von 2015 bis 2017 von der Literaturwissenschaftlerin Dr. Christina Rossi gesichtet, ausgewertet und archiviert.[18] Im Archiv Richard Wagners liegen Werkfassungen und -teile, Manuskripte, Material zum Werk, Fotos, Briefe, Lebensdokumente, Notizen und Aufzeichnungen sowie umfangreiche Materialsammlungen zu verschiedenen Themen und Projekten des Schriftstellers vor. Das Archiv im IKGS ist für die Recherche durch Wissenschaftler seit 2017 zugänglich.[19]
Seit seinem Tod verwaltet die Literaturwissenschaftlerin Dr. Christina Rossi die Urheberrechte an Wagners Werk.[20]
Um 2010 verdichtete sich der Verdacht gegen einige rumäniendeutsche Autoren wie Oskar Pastior,[22]Claus Stephani[23] sowie Franz Thomas Schleich und Wagners ehemalige Freunde Werner Söllner und Peter Grosz, mit der Securitate zusammengearbeitet zu haben.[24][25] In seinen Publikationen sieht sich Wagner als „Aufklärer von Securitate-Verstrickungen“.[26] Er forderte „schonungslose Aufklärung der Securitate-Verstrickung Pastiors“,[27] den er an anderer Stelle einen „Meister der Duplizität“ bezeichnete, wobei er auch die Haltbarkeit der Oskar-Pastior-Stiftung in Frage stellte.[28] Er betrachte Pastiors Werk als „ein Feuerwerk an Sprachartistik“, dem aber „jede moralische Begründung“ fehle.[29] Das Landgericht München und das Oberlandesgericht München untersagten Wagner 2011 die „Verdachtsberichterstattung von erheblichem öffentlichen Interesse“,[30] Claus Stephani hätte als „zuverlässiger Zuträger“ gegolten und sei „für seine geheime Tätigkeit sogar belohnt“ worden.[31][32]
Einzeltitel
Lyrik
Klartext. Ein Gedichtbuch. Kriterion, Bukarest 1973.
die invasion der uhren. Gedichte. Kriterion, Bukarest 1977.
Hotel California 1. Der Tag, der mit einer Wunde begann. Gedichte. Kriterion, Bukarest 1980.
hotel california 2. Gedichte. Kriterion, Bukarest 1981.
Ich hatte ein bisschen Kraft drüber. Materialsammlung zu Birgit Vanderbeke von Richard Wagner. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-596-14937-1.
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus. Hundert deutsche Gedichte. Aufbau, Berlin 2013, ISBN 978-3-351-03549-5.
Alexander von Bormann: Einspruch. Widerspruch. Zuspruch. Zur Rhetorik des zeitgenössischen Gedichts. Am Beispiel der rumäniendeutschen Lyrik, insbesondere Richard Wagners. In: Wespennest 82. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder. 1991, S. 24–32.
Cristina Tudorică: Rumäniendeutsche Literatur (1970–1990). Die letzte Epoche einer Minderheitenliteratur. Tübingen/Basel 1997.
Matthias Keidel: Die Wiederkehr der Flaneure. Literarische Flanerie und flanierendes Denken zwischen Wahrnehmung und Reflexion. Königshausen & Neumann, Würzburg 2005, S. 126–149.
Petra Meurer: Rasende Flaneure. Kulturelle Identität und Gender in den Texten Richard Wagners und anderer rumäniendeutscher Autoren. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Literatur und Migration. München 2006, S. 186–195.
Peter Motzan: Rumäniendeutsche Lyrik der 70er bis 90er Jahre: »Aktionsgruppe Banat« – Richard Wagner – Franz Hodjak – Werner Söllner – Rolf Bossert – Klaus Hensel (1973–1997). In: Ursula Heukenkamp, Peter Geist (Hrsg.): Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts. Berlin 2006, ISBN 978-3-503-07999-5, S. 732–746.
Beate Petry Kory: Diktatur und traumatische Erfahrung. Richard Wagners Roman Die Muren von Wien. In: Walter Engel (Hrsg.): Kulturraum Banat. Deutsche Kultur in einer europäischen Vielvölkerregion. Essen 2007, S. 307–316.
Daniela Nelva: Identität am Rande der Erinnerung. Richard Wagners Roman Miss Bukarest. In: William C. Donahue, Jochen Vogt: andererseits 2. Yearbook of Transatlantic Studies. 2/2011, S. 129–143.
Christina Rossi: Die Poesie gibt einem das, was sie einem nimmt. Zur Lyrik Richard Wagners. In: Richard Wagner: Gold. Gedichte. Aufbau Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-351-03676-8, S. 181–196.
Christina Rossi: Das Archiv als Erinnerungsort. Einblicke in den Vorlass des Schriftstellers Richard Wagner. In: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. 2/2016, München 2016, S. 77–87.
Horst Samson: Richard Wagner und die Folgen. In: Matrix. Zeitschrift für Literatur und Kunst. 39. Ausgabe, Pop Verlag, Ludwigsburg 2015, S. 7–149.
Horst Samson & Anton Sterbling (Hrsg.): Die Sprache, die auf das Nichts folgt, die kennen wir nicht. Sätze und Texte für Richard Wagner. Mit Grafiken und Malereien von Walter Andreas Kirchner. Pop Verlag, Ludwigsburg 2018, ISBN 978-3-86356-174-1.
Richard Wagner, Christina Rossi: Poetologik. Der Schriftsteller Richard Wagner im Gespräch. Wieser Verlag, Klagenfurt 2017, ISBN 978-3-99029-236-5.
Christina Rossi, Enikö Dácz: Wendemanöver. Beiträge zum Werk Richard Wagners. Mit literarischen Texten von Felicitas Hoppe, Johann Lippet und Richard Wagner. Pustet Verlag, Regensburg 2018, ISBN 978-3-7917-3021-9.
↑Christina Rossi: Einführung in Leben und Werk Richard Wagners. In: Richard Wagner, Christina Rossi (Hrsg.): Poetologik. Wieser Verlag, Klagenfurt 2017, ISBN 978-3-99029-236-5, S.13.
↑Christina Rossi: Einführung in Leben und Werk Richard Wagners. Hrsg.: Richard Wagner, Christina Rossi. Wieser Verlag, Klagenfurt 2017, ISBN 978-3-99029-236-5, S.12.
↑ abcChristina Rossi: Einführung in Leben und Werk Richard Wagners. In: Richard Wagner, Christina Rossi (Hrsg.): Poetologik. Wieser Verlag, Klagenfurt 2017, ISBN 978-3-99029-236-5, S.15.
↑Christina Rossi: „Die Poesie gibt einem das, was sie einem nimmt.“ Zur Lyrik Richard Wagners. In: Richard Wagner (Hrsg.): Gold. Aufbau Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-351-03676-8, S.181–196.
↑Franz Hodjak: Gruppenbild mit Wagner. In: Neue Literatur. Band3, 1973, S.89.
↑Christina Rossi: „Die Poesie gibt einem das, was sie einem nimmt.“ Zur Lyrik Richard Wagners. In: Richard Wagner (Hrsg.): Gold. Aufbau Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-351-03676-8, S.191.
↑Christina Rossi: Einführung in Leben und Werk Richard Wagners. In: Richard Wagner, Christina Rossi (Hrsg.): Poetologik. Wieser Verlag, Klagenfurt 2017, S.11–16 (Hier findet sich eine umfangreiche Darstellung der Entwicklung und Rezeption Wagners literarischen Werkes.).
↑Barbara Möller: Wenn der Kopf den Körper nicht beherrscht. In: Literarische Welt, 30. Mai 2015, S. 4.
↑Vorlass Richard Wagner . Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. an der Ludwig-Maximilians-Universität, Archiv und Bibliothek, abgerufen am 15. März 2023.