Die fünfjährige Amtszeit des am 9. Dezember 1990 gewählten Präsidenten Wałęsa fing am 22. Dezember 1990 an und sollte am 22. Dezember 1995 ablaufen. Entsprechend der Verfassung rief der SejmmarschallJózef Zych die Volkswahl für den 5. November 1995 aus. Die damaligen Wahlregeln entsprachen der Verfassungsnovelle von 1992 („kleine Verfassung“) und gelten grundsätzlich bis heute fort. Mit dem aktiven Wahlrecht waren alle bei den Parlamentswahlen wahlberechtigten Bürger ausgestattet und mit dem passiven Wahlrecht diejenigen, die außerdem bis zum Tag der Wahl 35 Lebensjahre vollendet haben. Die Wahlvorschläge mussten eine schriftliche Unterstützung von mindestens einhunderttausend wahlberechtigten Bürgern vorweisen. Sollte am ersten Wahltag kein Kandidat über die notwendige Mehrheit von über 50 % der abgegebenen Stimmen verfügt haben, müsste eine zweite Wahlrunde ausgerufen werden, die zwei Wochen nach dem ersten Wahltag stattfinden sollte. Zu dieser wären die beiden Kandidaten zugelassen, die in der ersten Wahlrunde die meisten Stimmen erhalten haben (Stichwahl). Die Feststellung der Gültigkeit der Wahl oblag dem Obersten Gericht und die Vereidigung des Präsidenten der Nationalversammlung.
Die aus der „Solidarität“–Bewegung entstandenen politischen Parteien konnten sich im Vorfeld der Wahl nicht auf eine Person einigen und schlugen mehrere Kandidaten vor, deren Anzahl sich infolge der Verhandlungsgespräche unter der Schirmherrschaft des PrälatenJózef Maj („Konvent zur Heiligen Katharina“) nur unwesentlich reduziert hat. Demgegenüber stand die Geschlossenheit der Linken um den Parteivorsitzenden Aleksander Kwaśniewski.
Kandidaten
Leszek Bubel
Hanna Gronkiewicz-Waltz
Janusz Korwin-Mikke
Lech Kaczyński
Jacek Kuroń
Aleksander Kwaśniewski
Andrzej Lepper
Marek Markiewicz
R. Leszek Moczulski
Jan F. Olszewski
Waldemar Pawlak
Jan Pietrzak
Lech Wałęsa
Tadeusz Zieliński
Folgende Kandidaten konnten in der angesetzten Frist 100.000 Unterschriften der Wahlberechtigten vorweisen und durften nach der Verifizierung dieser durch den Wahlausschuss an der ersten Wahlrunde teilnehmen:
Hanna Gronkiewicz-Waltz (* 1952) – habilitierte Juristin, Präsidentin der Zentralbank (seit 1992), Professorin für Verwaltungsrecht (seit 1994), Mitglied der Gewerkschaft „Solidarność“ (seit 1980), konservative Politikerin
Tadeusz Koźluk (1930–2019) – promovierter Jurist, Rektor einer Privathochschule
Jacek Kuroń (1934–2004) – Historiker, Sejm-Abgeordneter für die sozialliberale Freiheitsunion (ab 1989), Bürgerrechtler, ehemaliger Minister für Arbeit und Soziales (1989–1990 und 1992–1993), ehemaliger Aktivist der Gewerkschaft „Solidarność“ und Oppositioneller, früherer Erzieher in der Pfadfinderbewegung, ehemaliges Mitglied der PVAP (1952–1953 und 1956–1964)
Lech Kaczyński (1949–2010) – habilitierter Jurist, ehemaliger Senator (1989–1991), ehemaliger parteiloser Sejm-Abgeordneter (1991–1993), ehemaliger Berater des Präsidenten Wałęsa, ehemaliger Aktivist der Gewerkschaft „Solidarność“ und Oppositioneller, unterstützt von der liberal-konservativen Zentrumsallianz
Aleksander Kwaśniewski (* 1954) – Volkswirt (ohne Diplomabschluss), Parteivorsitzender der Sozialdemokratie der Republik Polen (seit 1990), ehemaliges Mitglied der PVAP (1977–1990), Aktivist und zeitweise Vorsitzender der Parteijugendorganisation
Andrzej Lepper (1954–2011) – Landwirt, Unternehmer, Vorsitzender der Gewerkschaft „Selbstverteidigung“ (seit 1992), ehemaliges Mitglied der PVAP (1978–1980)
Marek Markiewicz (* 1952) – Jurist, Rechtsanwalt, Journalist, ehemaliger Aktivist der Gewerkschaft „Solidarność“ und Oppositioneller, ehemaliger Sejm-Abgeordneter (1991–1993), ehemaliger Vorsitzender des Medienrates (1993–1994)
Lech Wałęsa (* 1943) – Elektriker, amtierender Präsident der Republik Polen, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft „Solidarność“ (1980–1990) und Oppositioneller, Friedensnobelpreisträger (1983)
Ein weiterer Kandidat reichte die Unterschriften fristgerecht ein, wurde jedoch nach der Prüfung von der Wahl ausgeschlossen, da die Unterlagen formale Mängel aufwiesen:
Nach der Wahl hatte zum ersten Mal die Feststellung der Wahlgültigkeit durch das Oberste Gericht zu erfolgen. Die Wahlergebnisse wurden von zahlreichen Wahlberechtigten angefochten, die Einzel- und durch die Medien organisierte Sammelklagen eingereicht hatten. Hauptsächlich wurde bemängelt, dass der offizielle Wahlaushang beim Kandidaten Aleksander Kwaśniewski über „Hochschulbildung“ informierte, während dieser sein Studium nicht mit einem Diplom abschloss. Die Kammer für Verwaltungswesen des Obersten Gerichts nahm dies zur Kenntnis, urteilte jedoch am 9. Dezember 1995 bei fünf Sondervoten, dass die Wahl gültig gewesen ist. Sie stellte fest, dass die Angabe keinen wesentlichen Einfluss auf das Wahlverhalten ausüben konnte, zumal die Kontroversen um den Abschluss Kwaśniewskis bereits vor der ersten Wahlrunde öffentlich thematisiert wurden.[1]
Am 23. Dezember 1995 legte Kwaśniewski gegenüber der Nationalversammlung den Amtseid ab. Gleichzeitig wurde sein Abgeordnetenmandat von Amts wegen für erloschen erklärt.[2]