Nähen (Medizin)Nähen bezeichnet in der Medizin die Form der Gewebevereinigung mittels Nadel und Faden, wobei die Fadenenden meist verknotet werden. Es ist eine grundlegende und bis heute unverzichtbare chirurgische oder operative Technik, da eine Wunde am schnellsten komplikationslos verheilt, wenn zusammengehörige Wundschichten spannungsfrei aneinander liegen, gegebenenfalls wird zur eigentlichen Wundnaht eine Entlastungsnaht gesetzt. Der Wundverschluss wird durch verschiedenste Nahttechniken ermöglicht und soll den Zeitraum überbrücken, bis aus der Wundnaht durch Wundheilung eine belastbare biologische Narbe entstanden ist. MaterialienFädenDas Nähen ist eine historisch sehr alte Behandlungsform. Bedeutende Fortschritte wurden und werden bei den Materialien, das heißt den Nadeln und den Fäden, gemacht. Verschiedene Aufgaben erfordern dabei verschiedene Nahtmaterialien. Früher verwendete man beispielsweise Naturseide und Schafdarm (Catgut) als Nahtmaterial. Heute werden fast ausschließlich hochmoderne Kunststoffe eingesetzt.[1][2][3][4][5] Geschichte
Die Entwicklung der Chirurgie, etwa die der Darmchirurgie, beruhte unter anderem auf dem Ausbau der Nahttechniken. Zur Behandlung von Darmwunden wurden in der altindischen Medizin (Sushruta, Ayurveda) und etwa 2000 Jahre später durch Abulcasis Ameisen zur Anbringung einer „Klammernaht“ verwendet, deren scherenartiges Gebiss, das nach dem Entfernen des Ameisenkörpers vom Kopf der Tiere weiterwirkt, die Wundränder im Sinne einer Darmnaht vereinigt.[12] Hippokrates von Kos (4. Jahrhundert v. Chr.) kannte die Wundnaht, empfahl aber, eine frische Wunde nicht zu nähen, sondern allenfalls zu verbinden. Hans von Gersdorff empfahl 1517 die Wundnaht etwa bei Amputationswunden. Eine zuverlässige Darmnaht entwickelte 1826 Antoine Lembert (1802–1851).[13] Heutzutage werden zum Nähen auch die nicht resorbierbaren Materialien Nylon, Polyester, PVDF, Polytetrafluorethylen (PTFE) und Polypropylen, Seide und Edelstahl, sowie Silber verwendet. Resorbierbare und nicht resorbierbare FädenZunächst unterscheidet man resorbierbare von nicht resorbierbaren Fäden. Die Naht hat, wie oben beschrieben, immer nur eine zeitlich begrenzte Aufgabe und unnötig im Körper verbliebenes Nahtmaterial stellt ein Entzündungsrisiko dar. Deshalb werden zugängliche, nicht resorbierbare Fäden nach ausreichender Zeit entfernt. Man nennt dies „Fäden ziehen“. Für Bereiche, in denen man die Fäden zum Ziehen nicht erreichen kann, beispielsweise Nähte an inneren Organen oder im Unterhautfettgewebe, verwendet man daher Fäden, die vom Körper selbst abgebaut (resorbiert) werden. Chirurgisches Nahtmaterial wird dabei nach der Resorptionszeit unterschieden – der Zeit, in der es die Hälfte seiner Festigkeit verloren hat –, während die Auflösungszeit die Zeit ist, die bis zu seiner völligen Auflösung verstreicht.[14] Die Resorption ist nicht nur eine materialspezifische Eigenschaft, sondern auch eine Funktion der Zeit (Hyperbel). Die modernen Fäden werden durch die Anwesenheit von Körperwasser hydrolytisch gespalten. Die Größe der Oberfläche (und somit der Durchmesser) des Fadens spielen deshalb eine ebenso wichtige Rolle wie die Art des genähten Gewebes, dessen Feuchtigkeitsgehalt unterschiedlich ist. Catgut hingegen wird von proteolytischen Enzymen abgebaut. Dicke und dünne FädenDicke Fäden haben den Vorteil, große Kräfte aushalten zu können, da die Zerreißfestigkeit unter anderem vom Querschnitt abhängt. So werden beim Nähen unter Zugspannung gerne dicke Fäden verwendet. Dicke Fäden hinterlassen aber nach dem Ziehen auch dicke Stichkanäle, die beispielsweise bei einer Hautnaht im Gesicht unschöne Narben verursachen können. Daher stellt die Industrie heute eine sehr große Palette verschiedener Fäden bereit, aus denen der operierende Arzt nach Aufgabenstellung und Erfahrung den jeweils geeigneten Faden wählt. Monofile, geflochtene und pseudomonofile FädenMonofile (einfädige) Kunststofffäden sind wie Angelschnüre wenig schmiegsam. Zwar gleiten sie beim Nähen gut durch das Gewebe, sie sind aber in der Handhabung störrisch und verhindern durch ihre glatte Oberfläche einen sicheren Knotenhalt. Durch Flechten oder Verdrehen eines Fadens aus mehreren dünnen Fäden, entsteht ein multifiler geflochtener oder verzwirnter Faden (ein Seil), der wesentlich geschmeidiger und leichter zu knoten und dessen Knotensitz sicher ist. Solche Fäden sägen jedoch beim Gewebedurchtritt, und ihre unverschlossene Oberfläche wirkt wie ein Docht. So können Krankheitserreger in den Körper eindringen und Infektionen begünstigen. Für Nähte im Gesicht gelten daher geflochtene Fäden nicht mehr als zeitgemäß. Für das Nähen beispielsweise der Unterhaut sind sie optimal. Als Hybride bietet die Industrie pseudomonofile Fäden an. Dabei handelt es sich um geflochtene Fäden mit den genannten Vorteilen bei der Handhabung, deren Oberfläche aber durch Ummantelung oder Beschichtung geglättet ist, wodurch die Säge- und Dochtwirkungen vermieden werden. NähnadelnDie Nähnadeln werden für verschiedene Anwendungen in unterschiedlichen Formen und mit speziellen Spitzen hergestellt. Heutige Nadeln sind oft beschichtet, um die Gleitfähigkeit zu erhöhen. Früher wurden Nadeln aus Knochen, Elfenbein, Eisen, Silber, Kupfer und Bronze benutzt, später dann aus Stahl, heutzutage nur noch aus rostfreiem Edelstahl. Früher wurden Fäden oft als sterile, unter Flüssigkeit in Flaschen gelagerte Meterware geliefert und bei Bedarf in wiederverwendbare Nadeln mit einem Federöhr eingespannt, die aber nur annähernd den noch heute zum Nähen von Stoffen verwendeten ähnlich sind. Letztere besaßen nie ein offenes Federöhr. In der Tiermedizin werden wiederverwendbare Nadeln und Nahtmaterial auf Spulen jedoch nach wie vor eingesetzt. Heute sind in der Humanmedizin nur noch einmal verwendbare Nadel-Faden-Kombinationen üblich. Nadel und Faden bilden eine Einheit, der Faden ist unauswechselbar mit der Nadel verbunden. Außer dem geeigneten Fadenmaterial muss der Arzt aber auch noch eine geeignete Nadel auswählen, denn es gibt für jede Situation besonders gut geeignete: große oder kleine, gerade, leicht oder stark gebogene, im Querschnitt runde oder dreieckige mit scharfen Kanten und vieles mehr. Beim atraumatischen Nahtmaterial ist das maximale Kaliber der Nadel mit dem des Fadens identisch und beide gehen stufenlos ineinander über. Dadurch wird gewährleistet, dass der Faden den Stichkanal völlig ausfüllt und selbst bei Gefäßnähten kein Blut aus dem Gefäßinneren am Stichkanal austritt. Monofiles oder pseudomonofiles Nahtmaterial ist hierbei selbstverständlich. Besonders heikel bei Herstellung und Gebrauch ist das hohle Nadelende, welches den Fadenanfang umschließt. In aller Regel wird bei Gebrauch die Nadel im Nadelhalter in ihrem hinteren Drittel und nie im Bereich des Hohlöhrs eingespannt. Spezielle NahtformenDer typische Standard ist die Einzelknopfnaht (A), bei welcher durch einen kreisförmig durchs Gewebe geführten Faden mit einem mehrfachen Knoten eine punktförmige Wundadaptation erzeugt wird. Lange Wunden benötigen daher mehrere. Aber das Vernähen langer Wunden kann auch mit einem fortlaufenden Faden geschehen, wobei verschiedene Fadenführungen möglich sind: überwendlich oder nur in einer Ebene hin und her. Um hierbei Hautaustrittskanäle zu vermeiden, entwickelte man die vollständig versenkte Intrakutannaht. Spezielle Formen der Nähte kann man sogar bei Spannung des Gewebes ausführen, so die vertikale Rückstichnaht, die Donati-Naht (B). Durch abwechselnden jeweils nur einseitigen Hautausstich bei der Allgöwer-Naht (C) lässt sich die Zahl der Hautaustritte sogar noch halbieren. Die gepaarte andere Seite wird dabei nur intra- und subkutan gefasst. Eine Entlastungsnaht ist eine zusätzliche Naht außerhalb der eigentlichen Wunde, die dazu dient, den Zug auf die eigentliche Wundnaht zu reduzieren. Ein starker Zug führt zu Durchblutungsstörungen, so dass die Fäden das Gewebe durchschneiden und es zu einer Nahtdehiszenz kommt. Entlastungsnähte verteilen die Kräfte auf eine größere Fläche. Typische Nahtformen für Entlastungsnähte sind die Donati-Naht, die Sultan-Diagonalnaht oder Fern-nah-nah-fern-Hefte der Fern-fern-nah-nah-Hefte. Sie werden 1 bis 2 cm neben der eigentlichen Wundnaht gesetzt. Spannungsreduzierende Nähte können häufig schon nach drei Tagen entfernt werden, weil Fibrin in dieser Zeit schon für eine ausreichende Stabilität des Wundverschlusses sorgt. Kann auch mit einer entlastungsnaht keine spannungsfreie Adaption der Wundränder erzielt werden, sind Entlastungsschnitte notwendig. Größere Hautdefekte müssen mit Schwenklappen oder Hauttransplantationen verschlossen werden.[15] BetäubungIn vielen Fällen kann eine Betäubung erforderlich sein. Je nach Fall kommen dazu eine örtliche Betäubung (Lokalanästhesie oder Regionalanästhesie), Sedierung bzw. Analgosedierung oder eine Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) in Frage. KnotenZum Verschließen einer Naht verwenden Chirurgen spezielle Knotentechniken wie Einhand- oder Zweihandknoten. Damit können Knoten wie der Kreuzknoten, Chirurgenknoten oder Gleitknoten wie Röder- und Von-Leffern-Knoten geknüpft werden. NadelhalterDas frühere Führen der Nadel von Hand kommt heute vereinzelt lediglich bei geraden Nadeln zur Anwendung (optional z. B. für die Intrakutannaht eines Pfannenstielschnitts nach einem Kaiserschnitt). Heutzutage wird sie in den allermeisten Fällen mit einer speziellen Metallklemme, dem Nadelhalter, von denen es zwei prinzipiell unterschiedliche Arten mit vielen Modifikationen gibt, durch das Gewebe gestochen und damit auch wieder herausgezogen. Das hat verschiedene Vorteile: Das Infektionsrisiko für den Operateur durch versehentliche Stichverletzungen ist geringer und es können kleinere Nadeln gefasst werden. Auch kann man so in tiefere Wundhöhlen eindringen. Mit Operationshandschuhen ist die Handhabung des Nadelhalters leichter als das Führen der Nadel von Hand. Sogar das Knoten des Fadens kann in vielen Situationen mit dem Nadelhalter erfolgen. In anderen Situationen ist der von Hand vorgelegte und mit dem Finger in die Tiefe geführte Knoten unersetzlich. AlternativenZum Nähen gibt es eine Reihe von Alternativen. Keines dieser Verfahren erreicht aber die universelle Anwendbarkeit und Vielfalt des Nähens. Nach dem Aufwand sortiert kann man folgende nennen:
Literatur
WeblinksCommons: Surgical suture – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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