Kyros-ZylinderDer Kyros-Zylinder enthält die Proklamation des achämenidischen (altpersischen) Königs Kyros des Großen, die er nach 538 v. Chr. auf einem Tonzylinder abfassen ließ, um seine Machtergreifung in Babylonien zu legitimieren. Der Zylinder befindet sich im British Museum. ForschungsgeschichteDer Kyros-Zylinder wurde 1879 in Babylon entdeckt. Man vermutet, dass er beim Fund vollständig erhalten war, aber bereits vor dem Abtransport von Babylon in zwei Teile zerbrach. Das größere Teilstück gelangte ins British Museum (Inventarnr. BM 90920) und das kleinere wurde ungefähr 25 Jahre später auf dem Kunstmarkt versteigert und in die Yale Babylonian Collection (Inventarnr. NBC 2504) integriert. Die beiden Teile wurden in den 1970er Jahren zusammengefügt und sind seither im British Museum zu sehen. 2009/2010 entdeckten Wilfred George Lambert und Irving Finkel eine Kopie des Textes auf zwei Fragmenten einer Tontafel aus der Sammlung des British Museum (Inventarnr. BM 47134, BM 47176).[1] Der Zylinder enthält einen keilschriftlichen Text in akkadischer Sprache. Das Teilstück des British Museum wurde 1880 von Henry Rawlinson veröffentlicht,[2] das Stück der Yale Babylonian Collection 1920 von James B. Nies und Clarence E. Keiser.[3] BeschreibungDer Kyros-Zylinder ist ungefähr 22,5 cm lang und hat einen Durchmesser von 10 cm. Der Kern ist aus Ton mit großen grauen Steinschlüssen. Er wurde zuerst als Kegel und danach mit zusätzlichem Ton als Zylinder geformt. Bevor die Schreiber die Keilschriftzeichen auftrugen, wurde nochmals eine feinere Schicht Ton aufgetragen. Zum Schluss wurde der Zylinder im Feuer gehärtet. Seine Datierung wird auf kurz nach 539 v. Chr. festgelegt.[4] Zylinder wie derjenige von Kyros II. waren in Babylon seit mehr als 2000 Jahren in Gebrauch und wurden in babylonische Bauwerke integriert. Man vermutet, dass der Kyros-Zylinder in der Mauer von Babylon, dem Imgur-Enlil, eingesetzt war. Der Inhalt des Zylinders wurde in babylonischen Archiven und Bibliotheken kopiert und auf andere Objekte wie königliche Statuen und Tafeln übertragen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Diese Vermutung wird mit zwei zusätzlichen Tonfragmenten mit dem Inhalt des Kyros Zylinders gestützt.[5] Inhalt
– Auszüge aus dem Kyros-Zylinder[6]
Nabonidus, der König von Babylon, ist ein lästernder Tyrann und hat Marduk und die Götter vor den Kopf geschlagen, die Schreine vernachlässigt und das Volk unterjocht. Der barmherzige Marduk wählt Kyros II. als Retter vor der Tyrannei von Nabonidus. Ohne Kampf fällt die heilige Stadt Babylon mit der Unterstützung von Marduk in die Hände von Kyros II. Nabonidus wird gefangen genommen. Kyros II. stellt sich selbst als König mit königlichen Vorfahren vor. Er wird König von Babylon und empfängt die Tribute der Welt in Babylon. Er setzt die Götter von verschiedenen östlichen Regionen in ihren Tempeln wieder ein, die babylonische Könige weggebracht hatten. Das Gleiche macht er mit den babylonischen Göttern, die von Nabonidus in die Hauptstadt gebracht wurden. Kyros II. erhöht die Opfergaben für Marduk und stellt die Mauer von Babylon wieder her.[7] Historischer BezugDer Kyros-Zylinder gehört zu den Verteidigungsreden, wie sie im Vorderen Orient verbreitet waren. Die Kernaussage der Reden war jeweils, dass der vorherige König nie eine göttliche Unterstützung gehabt oder sie verloren hätte. Diese Argumentation ist bei Nabonidus belegt, als er Lābāši-Marduk bezichtigte, kein angemessenes Verhalten zu zeigen und dieser ohne göttliches Einverständnis den Thron bestiegen hätte. Ebenso argumentierte Sargon II. gegen Salmānu-ašarēd V., der den Herrscher des Universums (Marduk) nicht gefürchtet und sein Volk wie Leibeigene behandelt hätte.[8] Im Vorderen Orient waren heilige Städte wie Aššur, Nippur oder Babylon privilegiert. Sie mussten keine Steuern zahlen und dem König keine Dienstleistungen erbringen. Durch die Bevorzugung von Sin durch Nabonidus verloren verschiedene Städte und Tempel ihre Privilegien.[9] Nabonidus war in der Folge in einer jahrelangen Pattsituation mit der Priesterschaft von Marduk gefangen. Die babylonische Priesterschaft löste schlussendlich die Situation auf, indem sie die Tore Babylons für Kyros II. öffnete und ihn als Retter vom Tyrannen Nabonidus darstellte. Die Inschrift auf dem Kyros-Zylinder ist eine „brilliante“ Schöpfung der ausgereiften Schreiber von Babylonien im Namen von Kyros II.[10] Auf Zeile 43 des Kyros Zylinders wird eine Inschrift von Assurbanipal erwähnt, die von Kyros II. während der Restauration der Mauer von Babylon gefunden wurde. Es handelte sich wahrscheinlich um einen von vielen Zylindern, die von Assurbanipal, der die Mauer bereits restauriert hatte, in die Mauer eingelassen wurden. Die Zylinder der Könige Kyros II. und Assurbanipals ähneln sich äußerlich. Beide sind aus massivem Lehm mit Zeilen, die sich über die ganze Breite hinziehen. Zylinder aus der spätbabylonischen Zeit sind dagegen in zwei oder drei Spalten unterteilt. Mit der namentlichen Erwähnung von Assurbanipal im Kyros-Zylinder ist es deshalb naheliegend zu vermuten, dass sich Kyros II. als Nachfolger von assyrischen Königen verstand und nicht von babylonischen. Die literarischen Modelle des Kyros Zylinders dagegen weisen auf den babylonischen Schöpfungs-Mythos Enūma eliš und die Esagil-Chroniken hin. Marduk als Retter von Babylon, der König als Versorger der Schreine, Marduk, der sein (Kyros II.) gutes Herz und seine guten Taten sah, all diese Aussagen stammen zum Teil wortgetreu abgebildet aus dem Schöpfungs-Mythos. Für Babylonier war die Stadt Anschan mit zwei Verwüstungen von Babylon verbunden, einmal durch Šutruk-Naḫḫunte II. im 12. Jahrhundert v. Chr. und ein früheres Mal während der Herrschaft von Ibbi-Sin. Es lag an den Schreibern von Babylon, diese Erinnerungen zu tilgen und in ein Wunder, verursacht durch Marduk, zu verwandeln. Basierend auf den babylonischen Schriften von Enūma eliš und den Esagil-Chroniken hatten sich „vor den Augen der Babylonier ihre heiligen Schriften erfüllt.“[11] Esagil-ChronikenDie Esagil-Chroniken stammen von der Priesterschaft des Marduk. Ihre Spuren können bis ins späte 3. Jahrtausend v. Chr. beziehungsweise das frühe 2. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgt werden. Die Chronik soll die babylonischen Könige belehren, welchen Status Marduk hat und wie die Könige ihn angemessen verehren können. Marduk dürfe nicht ignoriert werden und man dürfe sich ihm nicht entgegenstellen. Unter den Sünden eines Königs laufen Vergehen gegen die heilige Stadt von Babylon, sein Volk und das Verweigern von Opfern an Marduk. In einem kurzen Überblick werden vergangene Könige nach ihren Taten gemessen. Gute Könige hätten ein gutes Leben gehabt und die Welt regiert, schlechte dagegen seien abgesetzt oder getötet worden. Von den vierzehn gelisteten Königen werden drei als gut bezeichnet (Gilgamesch von Uruk, Kubaba von Kiš und Šu-Sin von Ur), zwei hatten sich von gut nach schlecht verändert (Sargon von Akkad, Utuḫengal), einer war armselig (Ibbi-Sin) und der Rest war schlecht (Akka, Enmerkar, Puzur-ili, Ur-Zababa, Naram-Sin, die Gutiäer, Šulgi, Amar-Suena). Nach der Charakterisierung der Könige folgten die Bestrafungen in Form von Tod, Lepra, Schlaflosigkeit, Verlust der Herrschaft und fremden Invasionen. Die Chronik mündet in der Katastrophe von Ibbi-Sin, bei dem der zornige Marduk Babylonien verstieß und das Land vom Osten überrannt wurde. Die Götter verließen daraufhin ihre Schreine, gingen ins Exil und überließen das Land seinen Zerstörern.[12] RezeptionEnde der 1960er Jahre erlangte der Kyros-Zylinder einen neuen Bekanntheitsgrad, als der letzte Schah von Persien, Mohammad Reza Pahlavi, zum 2500. Geburtstag der iranischen Monarchie behauptete, der Kyros-Zylinder sei weltweit die erste Erklärung der Menschenrechte, und deren Geburtsort sei demnach der Iran gewesen. Unter dem Schah wurde der Zylinder zu einem Symbol seiner neu geschaffenen nationalen Identität.[13] Seine damalige Werbekampagne war so erfolgreich, dass in deutschen Schulbüchern Kyros II. sogar als Pionier für Menschenrechte bezeichnet wurde.[14] Literatur
WeblinksCommons: Kyros-Zylinder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Cyrus cylinder – Übersetzer Robert William Rogers (englisch)
Einzelnachweise
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