Das Gespensterbuch ist eine Anthologie von Gruselgeschichten von August Apel und Friedrich Laun, dem Pseudonym von Friedrich August Schulze. Die Reihe erschien in 7 Bänden von 1810 bis 1817, wobei die letzten drei Bände sowohl unter dem Titel Gespensterbuch als auch unter Wunderbuch veröffentlicht wurden.[1]
Nach Apels Tod 1816 war Friedrich de la Motte Fouqué Mitherausgeber des letzten Bandes. Eine von Fouqué und Laun herausgegebene Fortsetzung erschien 1818 unter dem Titel Aus der Geisterwelt.
In seinen Memoiren beschreibt Friedrich Laun die Entstehungsgeschichte des Gespensterbuchs und berichtet von einem einwöchigen Aufenthalt auf dem Familiensitz von Apel in Ermlitz bei Schkopau. Dort erzählte man sich abends Geschichten über angebliche Gespenster, die aus der Zeit stammten, als sich ein Hochgericht in der Nähe befand, und die nach Einbruch der Dämmerung auftauchten. Diese schaurigen Erzählungen hinterließen einen tiefen Eindruck bei Apel und Laun. Nach ihrer Rückkehr nach Leipzig gaben sie die Geschichten bei einem Teeabend im Haus ihrer Freunde wieder. Die Mischung aus Grusel und Heiterkeit begeisterte die Zuhörer derart, dass man beschloss, solche Abende regelmäßig zu veranstalten. Aus diesen sogenannten „Gespenstertees“ entstand schließlich die Idee, eine Sammlung von Erzählungen über Geister und unheimliche Begebenheiten herauszugeben: das Gespensterbuch.[2]
Bereits im ersten Band bemühten sich Apel und Laun, Abwechslung zu schaffen, indem sie zwei komische Märchen einfügten: Apels Nacherzählung von Madame d’AulnoysLa Princesse Rosette unter dem Titel König Pfau sowie Launs Märchen Das Ideal.[3] Die Resonanz auf diese Geschichten war jedoch negativ, weshalb die Autoren in den folgenden Bänden auf weitere Märchen verzichteten.[2]
Für den fünften Band entschied man sich, das Thema von reinen Gespenstergeschichten auf alles auszuweiten, was sich nicht mit den Naturgesetzen erklären ließ, und gab der Reihe einen zweiten Titel: Wunderbuch. Um noch mehr Abwechslung in die Reihe zu bringen, beschlossen Apel und Laun außerdem, noch andere Autoren zu Beiträgen einzuladen, was dazu führte, dass auch Apels Freunde Friedrich de la Motte Fouqué und Karl Borromäus von Miltitz Geschichten für den letzten Band des Wunderbuchs schrieben.[2]
Einflüsse
Im Gespensterbuch greifen Apel und Laun auf morgenländische Themen, heimisches poetisches Volksgut und französische Feenmärchen zurück. Jede der Geschichten behandelt dabei bestimmte Motivkreise des Gespenstischen und Übernatürlichen.
Der erste Band[4] eröffnet mit Apels Erzählung Der Freischütz über einen Jäger, der einen Pakt mit dem Teufel schließt. Sie steht innerhalb der Geschichtensammlung für das Motiv der Dämonenbeschwörung. Das ebenfalls in die Geschichte eingearbeitete Motiv Zauberei bei Kugel-Giessen erscheint auch schon früher, etwa in den Unterredungen von dem Reiche der Geister von Otto von Graben zum Stein.[5] Die dortige Skizze einer Geistergeschichte aus einer böhmischen Gerichtssitzung von 1710 gelangte wahrscheinlich über Laun, der ein Exemplar des Buches besaß, an Apel.[6] Sie enthält allerdings weder einen Probeschuss vor einem Fürsten, noch eine Braut oder ihre Eltern, und nicht einmal das Wort Freikugel. Apel rechnete seinen Stoff zu den verbreiteten Sagen, die er erzählerisch verarbeitete, ohne Quellen zitieren zu müssen.
Einige Figuren in den Geschichten könnten auf persönlichen Bekanntschaften beruhen, wie etwa die mit Richard Wagners Vater Karl Friedrich Wilhelm Wagner (1770–1813), einem Polizeiaktuar, der den „Aktuarius Wermuth“ in Die schwarze Kammer inspiriert haben könnte.[7] In dieser Geschichte wird außerdem Bezug auf die 1810 im Freimüthigen erschienene Erzählung Die graue Stube von Heinrich Clauren genommen.[8]
Sowohl Apel als auch Laun kannten Johann Wolfgang von Goethe, dessen Stück Claudine von Villa Bella (1776) Launs Die Todtenbraut beeinflusst haben könnte. Der Literaturwissenschaftler Robert Stockhammer stellt fest, dass Der Todtenkopf Figuren enthält, die von Cagliostro inspiriert sind, über den Goethe geschrieben hatte und über den möglicherweise diskutiert wurde, als Laun Goethe 1804 besuchte.[9] Goethes Erlkönig (1782) inspirierte auch Apels Gedicht Alp.[10][11]
Veröffentlichung
Der erste Band des Gespensterbuchs erschien 1810 bei G.
J. Göschen in Leipzig und enthielt ein farbiges Frontispiz von Johann Heinrich Ramberg zu der Erzählung Das Ideal. Von dieser Ausgabe sind nur wenige Exemplare erhalten, weshalb viele Quellen davon ausgehen, dass die Reihe erst ab 1811 veröffentlicht wurde, als der erste Band (diesmal ohne das Frontispiz) gleichzeitig mit dem zweiten und dritten Band im ansonsten unveränderten Nachdruck erschien. Band 4 wurde später im selben Jahr veröffentlicht und 1813 erneut aufgelegt.[12]
Der fünfte Band wurde 1815 mit zwei Titelblättern veröffentlicht: eines mit dem Titel Gespensterbuch. Fünftes Bändchen, das andere mit dem Titel Wunderbuch. Erstes Bändchen. Dahinter steckte die Absicht, den Themenkreis über Gespenstergeschichten hinaus zu erweitern, was man bereits zuvor innerhalb des Gespensterbuchs mit einigen Märchen versucht hatte.[2] Band 6 wurde 1816 auf die gleiche Weise veröffentlicht.[13] Der letzte Band erschien 1817 nur noch als 3. Band des Wunderbuchs. Dennoch wurde er in manchen späteren Ausgaben weiterhin als 7. Band des Gespensterbuchs betitelt, eine Bezeichnung, die auch Laun selbst verwendete.[14]
Aufgrund ihrer hohen Popularität wurde die Reihe mehrfach nachgedruckt, unter anderem zwischen 1814 und 1818 als Raubdruck bei Macklot in Stuttgart.[15] Durch Webers Oper Der Freischütz (1821 uraufgeführt) erlangte Apels gleichnamige Geschichte zusätzliche Bekanntheit und wurde 1823 von Fleischer in einem eigenen Band herausgebracht.[16]
Neuere Ausgaben
Reclam, Leipzig 1883, Reclams Universal-Bibliothek 1791/1795, 662 S. (Band 1–4, Volltext in der Google-Buchsuche-USA)
Reclam, Leipzig 1927, 670 S. Mit einem Nachwort von Robert Neumann
Olms, Hildesheim 2007 (Band 5–7, entspricht den Wunderbüchern)
Blitz, Windeck 2016–2017, vollständige Neuauflage (1–7) in drei Bänden (Band 1, 399 S., mit einem Vorwort von Markus K. Korb; Band 2, 366 S., mit einem Nachwort von Urania Milevski, Band 3. 406 S., mit einem Nachwort von Felix Woitkowski)
Altmeister Ehrenfried und seine Familie (Friedrich de la Motte Fouqué)
Wirkungsgeschichte
Der Freischütz
Die erste Erzählung des ersten Bandes, Der Freischütz, diente als Vorlage für die 1821 uraufgeführte Oper Der Freischütz von Carl Maria von Weber. Jahrzehnte später erinnerte sich Friedrich Kind, ein Mitschüler (Thomasschule Leipzig) von August Apel,[17] dass Der Freischütz die letzte Geschichte in einem Stapel war, den er 1817 für Weber zusammengestellt hatte und den sie auf der Suche nach Stoff für eine Oper durchmusterten. Aber das allzu tragische Ende machte die Erzählung nach ihrem Urteil ungeeignet. Erst mit einem abgeänderten, glücklichen Ende, mit einem Eremiten, einem dämonischen Kaspar und einem fröhlich jungen Ännchen ist sie schließlich in Kinds Libretto (1820) des Freischützen eingegangen.[18]
Fünf Erzählungen aus den ersten beiden Bänden bildeten den Großteil einer 1812 unter dem Titel Fantasmagoriana, ou Recueil d’Histoires d’Apparitions de Spectres, Revenans, Fantomes, etc.; traduit de l’allemand, par un Amateur erschienenen französischen Anthologie deutscher Gruselgeschichten, übersetzt von Jean-Baptiste Benoît Eyriès.
Die Sammlung enthielt:
Portraits de Famille (Original: Die Bilder der Ahnen von Apel)
L’Heure Fatale (Original: Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt von Schulze)
La Tête de Mort (Original: Der Todtenkopf von Apel)
La Morte Fiancée (Original: Die Todtenbraut von Apel)
Le Revenant (Original: Der Geist des Verstorbenen von Schulze)
La Chambre grise (Original: Die graue Stube von Heinrich Clauren)
La Chambre noire (Original: Die schwarze Kammer von Apel)
Fünf der Geschichten aus den Fantasmagoriana (darunter drei aus dem Gespensterbuch) erschienen 1813 in einer englischen Übersetzung von Sarah Elizabeth Utterson (zusammen mit einer Erzählung der Übersetzerin) unter dem Titel Tales of the Dead:
The Family Portraits (Original: Die Bilder der Ahnen von Apel)
The Fated Hour (Original: Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt von Schulze)
The Death’s Head (Original: Der Todtenkopf von Apel)
The Death-Bride (Original: Die Todtenbraut von Apel)
The Storm (Utterson)
The Spectre-Barber (Original: Stumme Liebe von Musäus)
Zwei der Gespensterbuchgeschichten aus den Fantasmagoriana hatten einen großen Einfluss auf Frankenstein. Die Todtenbraut war eine der beiden Geschichten, die Mary Shelley in ihrer Einleitung zur Frankenstein-Ausgabe von 1831 beschrieb, und der Tod von Frankensteins Frau Elizabeth könnte durch diese Geschichte inspiriert worden sein,[22] während Die schwarze Kammer Shelleys Bericht über einen Traum von einer geisterhaften Gestalt an ihrem Bett ähnelt, der sie zu Frankenstein inspirierte.[23]
Eine andere der Geschichten aus dem Gespensterbuch, Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt (in den Fantasmagoriana übersetzt als L’Heure Fatale), könnte eine Inspiration für die Astarte-Szene in Byrons Manfred gewesen sein, den er Ende 1816 begann.[24]
Weitere Auswirkungen
Joseph von Auffenbergs Theaterstück Viola, oder die Vorschau von 1824 basiert auf Apels Die Bräutigamsvorschau aus dem zweiten Band des Gespensterbuchs.[25]
Das Motiv der tanzenden Toten aus Apels Der Todtentanz könnte eine Inspiration für Goethes gleichnamige Ballade gewesen sein.[26]
„Neues Gespensterbuch“
Der Dichter Theodor Storm hatte in der Zeit von 1848 eine Sammlung von Spukgeschichten angelegt und zur Herausgabe vorbereitet, die unter dem Titel Neues Gespensterbuch erscheinen sollte. Aus unbekannten Gründen hatte er dann das Projekt nicht weiter verfolgt. Das Manuskript tauchte im Jahr 1988 wieder auf und wurde von dem Storm-Experten Karl Ernst Laage erstmals im Jahre 1991 veröffentlicht.[27]
Literatur
Werner Abegg: Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Romantische Oper – Finstere Mächte – Bühnenwirkung. Wißner, Augsburg 2005, ISBN 3-89639-368-5.
↑
Felix Woitkowski: Ein Gespensterbuch von erhabener Unschlüssigkeit. Nachwort. In: August Apel, Friedrich Laun, Felix Woitkowski (Hrsg.): Das Gespensterbuch. Von Ruine bis Ehrenfried. 1. Auflage. Band3. Blitz Verlag, Windeck 2017, S.399–405.
↑ abcdFriedrich Laun: Memoiren. Band2. Bunzlau 1837, S.21 (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑Richard Benz: Märchen-Dichtung der Romantiker. F. A. Perthes, Gotha 1908, S.231 (Volltext in der Google-Buchsuche-USA).
↑Otto von Graben zum Stein: Unterredungen von dem Reiche der Geister. 2. Auflage. Band1, V. Stück. Samuel Benjamin Waltern, Leipzig 1731, S.609–614 (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑Johann Georg Theodor Grässe: Die Quelle des „Freischütz“. R. v. Zahn’s Verlag, Dresden 1875, S.6f. (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑Joachim Köhler: Der letzte der Titanen. Richard Wagners Leben und Werk. Claassen, München 2001, ISBN 3-546-00273-3, S.60.
↑H[einrich] C[lauren]: Die graue Stube. In: Dr. August Kuhn (Hrsg.): Der Freimüthige, oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser. Nr.153, 2. August 1810, S.611f. (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑Patrick Bridgwater: The German Gothic Novel in Anglo-German Perspective (= Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft. Band165). Editions Rodopi, 2013, ISBN 978-94-012-0992-2, S.51 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Heinrich Viehoff: Goethe's Gedichte. Band1. Bötticher, Düsseldorf und Utrecht 1846, S.456f. (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑M. W. Götzinger: Deutsche Dichter. Band1. J. F. Hartknoch, Leipzig 1831, S.301 (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑Maximiliaan van Woudenberg: Coleridge's Copy of Gespensterbuch. In: ANQ: A Quarterly Journal of Short Articles, Notes and Reviews. Band26, Nr.4, 2013, ISSN0895-769X, S.246–251, doi:10.1080/0895769X.2013.844646 (englisch).
↑Verzeichniß neuer Bücher, die vom Januar bis Juny 1816 wirklich erschienen sind. Hinrichs, Leipzig 1816, S.2 (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑Friedrich v. Fouqué, Friedr. Laun (Hrsg.): Aus der Geisterwelt. Band1. Keyser, Erfurt 1818, S.III (Volltext in der Google-Buchsuche).
↑Eveline Bartlitz: Zur Korrespondenz von Friedrich August Schulze mit August Apel. In: Weberiana. Mitteilungen der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft e. V. Heft 33. Allitera Verlag, München 2023, S.133–138, doi:10.70327/wb.2023.33.p133-138.
↑Johann August Apel: Der Freischütz. Eine Volkssage. Fleischer, Leipzig 1823.
↑Friedrich Kind: Schöpfungsgeschichte des Freischützen. In: Der Freischütz, Volks-Oper in drei Aufzügen, Göschen, Leipzig, 1843, S. 117–123. Abgerufen im 1. Januar 1