Dorothea Leporin war die Tochter von Christian Polykarp Leporin senior (1689–1747), Arzt in Aschersleben und später Stadtphysikus und Biograf von Lorenz Heister[2] in Quedlinburg, und Anna Sophia Leporin (1681–1757), Tochter des Konsistorialrats Albert Meinecke. Ihr Geburtshaus Steinweg 51 ist heute denkmalgeschützt. Von Kind an zart und kränklich, zeigte das begabte Mädchen außergewöhnliche geistige Fähigkeiten und Interesse für naturwissenschaftliche Studien. Der Rektor und der Konrektor der Quedlinburger Ratsschule gaben ihr privaten Lateinunterricht. Ihr Vater unterwies sie in Naturwissenschaften sowie – gemeinsam mit ihrem Bruder Christian Polykarp Leporin junior (1717–1791) – in praktischer und theoretischer Medizin. Hierdurch lernte sie unter anderem die medizinischen Schriften von Georg Ernst Stahl, Michael Alberti, Johann Juncker und Lorenz Heister kennen.[3] Außerdem nahm er sie ab ihrem 16. Lebensjahr zu seinen Patienten mit und ließ sich mit der Zeit sogar von ihr in seiner Praxis vertreten.
Ausbildung und Promotion
Dorothea Leporin durchlief dieselbe Ausbildung wie ihr Bruder, und wie er strebte sie die Erlangung eines akademischen Grades an. Der Wunsch, mit ihrem Bruder zu studieren, wurde durch dessen Einberufung zum Militär unmöglich. Der Bruder ließ sich jedoch vom Militär vorzeitig beurlauben, um mit seiner Schwester ein Studium aufzunehmen. Da er zeitweise als Deserteur galt,[4] flüchtete er in die nahe gelegene Landgrafschaft Hessen-Kassel. Später wurde er Arzt in Nienburg an der Weser.
Trotz ihres breiten medizinischen Wissens blieb Dorothea Leporin ohne die Begleitung ihres Bruders der Zugang zur Universität verwehrt. Daraufhin wandte sie sich an Friedrich den Großen,[5] der 1741 die Universität Halle anwies, Dorothea Leporin zur Promotion und zum medizinischen Universitätsexamen zuzulassen.
Karriere und Promotion
Als sie anfing zu praktizieren, wurde sie von den anderen Ärzten ihrer Heimatstadt als Dilettantin verschrien, weil sie keine formelle, universitäre Ausbildung zur Ärztin hatte. In der Schrift Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten[6] wehrte sie sich 1742 noch unter dem Namen Leporin gegen die Vorwürfe:
„Die Verachtung der Gelehrsamkeit zeigt sich besonders darin, dass das weibliche Geschlecht vom Studieren abgehalten wird. Wenn etwas dem größten Teil der Menschheit vorenthalten wird, weil es nicht allen Menschen nötig und nützlich ist, sondern vielen zum Nachteil gereichen könnte, verdient es keine Wertschätzung, da es nicht von allgemeinem Nutzen sein kann. So führt der Ausschluss vieler von der Gelehrsamkeit zu ihrer Verachtung. Dieses Unrecht ist ebenso groß wie dasjenige, das den Frauen widerfährt, die dieses herrlichen und kostbaren Gegenstandes beraubt werden.“
Nach ihrer Heirat 1742 praktizierte sie neben der hausfraulichen Tätigkeit in ihrer großen Familie weiter als Ärztin. 1747 übernahm sie die Praxis ihres verstorbenen Vaters. Nachdem eine ihrer Patientinnen während der Behandlung gestorben war, wurde sie von anderen Ärzten wegen „medicinischer Pfuscherey“ angezeigt.[7] Daraufhin entschloss sich die nun 39-jährige Dorothea, kurz nach der Geburt ihres vierten Kindes, ihre Promotion nachzuholen.[8] Im Januar 1754 reichte sie ihre Dissertation mit dem Titel Quod nimis cito ac iucunde curare saepius fiat causa minus tutae curationis, 1755 auf Deutsch unter dem Titel Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten, ein, und am 6. Mai desselben Jahres trat sie, nachdem der preußische König der Prüfung und Promotion zugestimmt hatte,[9] an der Universität Halle zum Promotionsexamen an, das sie mit großem Erfolg ablegte. Am 12. Juni 1754 wurde sie von Professor Johann Juncker feierlich zum „Doktor der Arzeneygelahrtheit“ erklärt.[4] Nach der Promotion führte sie ihr Leben wie bisher weiter: Sie kümmerte sich um ihre Kinder, führte den Haushalt und behandelte ihre Patienten. In Quedlinburg blieb sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1762 die angesehene Frau Pastorin. Wie einem Nachruf ihres ältesten Sohnes, Johann Christian Polycarp, zu entnehmen ist, starb sie an Brustkrebs.[10]
Familie
1742 heiratete[4] Dorothea den verwitweten Diakon Johann Christian Erxleben (1697–1759),[11] der aus der ersten Ehe mit ihrer Cousine einen Sohn und vier Töchter hatte. In den folgenden Jahren bekam sie vier Kinder. Der älteste Sohn, Johann Christian Polycarp, wurde ein bekannter Naturwissenschaftler. Der zweite Sohn Christian Albert Christoph (1746–1755) starb bereits im Alter von neun Jahren. Die Tochter Anna Dorothea (1750–1805) heiratete 1777 Ludwig Christian Anton Wigand; der Botaniker Julius Wilhelm Albert Wigand war ihr Enkel. Der jüngste Sohn Johann Heinrich Christian wurde Rechtswissenschaftler.[4]
Nachwirkung, Denkmäler und Benennungen
Am 20. April 1899 wurden Frauen im Deutschen Reich erstmals offiziell zu den Staatsprüfungen der Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie zugelassen. An den Universitäten Preußens konnten sich Medizinstudentinnen erstmals im Wintersemester 1908/1909 einschreiben. Dennoch gab es mit Charlotte Heidenreich, die im hessischen Gießen promoviert wurde, und einigen anderen sowie der Zahnärztin Henriette Hirschfeld-Tiburtius in einigen seltenen Fällen Ausnahmen, bis 1901 mit Ida Democh-Maurmeier und Mathilde Wagner gemäß einem Bundesratsbeschluss von 1900 die ersten Ärztinnen/Zahnärztinnen das Staatsexamen ablegen durften.
Von 1955 bis zu ihrer Schließung 1990 trug die Medizinische Schule bzw. Medizinische Fachschule Quedlinburg den Namen „Dorothea Christiane Erxleben“. Ab 1962 profilierte sich die Medizinische Schule zu einer Ausbildungsstätte „ausländischer Bürger junger Nationalstaaten“. An dieser für die DDR einmaligen Einrichtung wurde medizinisches Personal aus mehr als dreißig Ländern bzw. von vier Kontinenten ausgebildet bzw. qualifiziert.[12] Das Harzklinikum Dorothea Christiane Erxleben in Quedlinburg trägt den Namen der Ärztin ebenso wie ein Altenpflegeheim des DRK-Kreisverbandes Görlitz.[13]
Eine Kaserne im Norden von Halle (Saale), in der nach 1990 das Sanitätsregiment 13 stationiert war, trug bis zur Auflösung der Garnison Halle im Sommer 2007 den Namen Dr.-Dorothea-Erxleben-Kaserne. Auch mehrere Schulen führen ihren Namen.
Ein Wandbild zum Leben von Dorothea Erxleben malte 1970 der Hallesche Maler Hannes H. Wagner in der damaligen Poliklinik im Stadtteil 2 von Halle-Neustadt. Zu der Restaurierung des Bildes existiert eine Diplomarbeit seit 2007 von Stephanie Dannenfeldt im Hornemann Institut in Bielefeld.[14]
Ebenfalls nach ihr ist das Dorothea-Erxleben-Lernzentrum an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg benannt.[15]
In Quedlinburg gehört die Darstellung Dorothea Erxlebens seit 1993 zu dem von Bernd Göbel von 1986 bis 1989 geschaffenen Ensemble der Brunnenfiguren am Kornmarkt.[19][20][21][22]
Dorothea Christiane Leporin: Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten. Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nöthig und nützlich es sey, Daß dieses Geschlecht der Gelahrheit sich befleisse, umständlich dargelegt wird von Dorotheen Christianen Leporinin. Nebst einer Vorrede ihres Vaters D. Christiani Polycarpi Leporin, Med. Pract, in Quedlinburg. Berlin 1742 (Digitalisat auf Wikimedia Commons); 4. Neudruck Olms, Hildesheim 2013, ISBN 978-3-487-30114-3.
Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten. Deutsche Ausgabe der Dissertation, Halle 1755; Reprint: Verlag Janos Stekovics, Dößel 2004, ISBN 3-89923-056-6.
Heinz Böhm: Dorothea Christiane Erxleben. Ihr Leben und Wirken. Zu ihrem 270. Geburtstag am 13. November 1985. Städtische Museen, Quedlinburg 1985.
Julia von Brencken: Doktorhut und Weibermütze. Dorothea Erxleben – die erste Ärztin. Biographischer Roman. Kaufmann, 1997, ISBN 3-7936-0306-7.
Eva Brinkschulte, Eva Labouvie (Hrsg.): Dorothea Christiana Erxleben: Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession seit dem 18. Jahrhundert. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2006, ISBN 3-89812-364-2 (Sammelband wissenschaftlicher Aufsätze).
Renate Feyl: Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft. Berlin 1981, ISBN 3-462-02388-8 (Kiwi-Taschenbuch).
Holger Friedrich: Merkmale aufklärerischer Vernunft in der deutschen Medizin des 18. Jahrhunderts. Das Organismusmodell Stahls, die lateinische Dissertation Erxlebens und die Rede von Mederer und Wuthwehrs zur Integration der Chirurgie im Spiegel der historischen Diskursanalyse. Masterarbeit, Universität Düsseldorf, 2010 (bibliothek.uni-halle.de).
Beatrix Niemeyer: Ausschluß oder Ausgrenzung? Frauen im Umkreis der Universitäten im 18. Jahrhundert. In: Elke Kleinau, Claudia Opitz (Hrsg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Frankfurt 1996, S. 275–294, hier: S. 288 ff.
Kornelia Steffi Gabriele Markau: Dorothea Christiana Erxleben (1715–1762): Die erste promovierte Ärztin Deutschlands. Eine Analyse ihrer lateinischen Promotionsschrift sowie der ersten deutschen Übersetzung. Dissertation, Universität Halle-Wittenberg, 2006 (Volltext).
Eike Pies: Dorothea Christiane Erxleben geborene Leporin (1715–1762), die erste promovierte Ärztin in Deutschland. Dommershausen-Sprockhövel 2011, ISBN 978-3-928441-80-3.
Werner Quednau: Die Ärztin Dorothea Christiana. Altberliner Verlag Groszer, Berlin 1958, DNB453882722
Florian Steger: Dorothea Christiana Erxleben. Die erste promovierte Ärztin in Deutschland. In: Achim Lipp, Jürgen Lasch (Hrsg.): Hallesche Helden der Heilkunst. Bedeutende Ärzte und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät (= Edition Templerkapelle Band 2). 2. Auflage. Freunde Templerhof Gut Mücheln e.V., 2015, ISBN 978-3-86977-062-8, S. 64–79.
Gisela Stockmann: Dorothea Erxleben. Doktorwürde. In: Gisela Stockmann (Hrsg.): Schritte aus dem Schatten. Frauen in Sachsen-Anhalt. Dingsda-Verlag, Querfurt 1993, ISBN 3-928498-12-6.
Hubertus Averbeck: Von der Kaltwasserkur bis zur physikalischen Therapie. Betrachtungen zu Personen und zur Zeit der wichtigsten Entwicklungen im 19. Jahrhundert. Europäischer Hochschulverlag, Bremen 2012, ISBN 978-3-86741-782-2, S. 692.
Dorothea Christiane Erxleben. Zum 300. Geburtstag der ersten promovierten Ärztin Deutschlands. Harzklinikum Dorothea Christiane Erxleben GmbH, Wernigerode 2015, ISBN 978-3-936185-96-6.
Helga Tödt: Mikrobenjäger Forscherporträts aus sechs Jahrhunderten, BeBra Verlag Berlin 2023, ISBN 978-3-89809-214-2, S. 59–71.
↑Irma Hildebrandt: Frauen mit Elan. 30 Porträts. Hugendubel, München 2005, ISBN 978-3-7205-2650-0, S.25.
↑Christian Polycarp Leporin: Ausführlicher Bericht vom Leben und Schrifften des durch gantz Europam berühmten Herrn D. Laurentii Heisteri, allen, die von wahrer Gelehrsamkeit Profession machen, sonderlich denen Herren Medicis zum Dienst publiciret. Quedlinburg 1725.
↑Christoph Schweikardt: Erxleben, Dorothea Christiane. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 369.
↑Norbert Conrads: Anna Würster, die erste privilegierte Medizinerin Schlesiens (1657). In: Konrad Goehl, Johannes Gottfried Mayer (Hrsg.): Editionen und Studien zur lateinischen und deutschen Fachprosa des Mittelalters. Festgabe für Gundolf Keil zum 65. Geburtstag (= Texte und Wissen. Band 3). Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 1–15, hier: S. 13–14.
↑Stefan Wolter: Für die Kranken ist das Beste gerade gut genug. Klinikum Dorothea Christinane Erxleben gGmbH, 100 Jahre Geschichte. Quedlinburg 2007, S. 264–268.