Das Deutsche Turnfest (seit 2005 Internationales Deutsches Turnfest) ist eine Serie von Zusammenkünften von Turnern, überwiegend aus Deutschland. Erstmalig abgehalten wurde das Turnfest 1860. Organisator der Zusammenkünfte ist der Deutsche Turner-Bund.
Das erste Deutsche Turnfest wurde 1860 in Coburg abgehalten. 1861 fand das zweite Deutsche Turnfest in Berlin statt. Anlass war die Errichtung des ersten deutschen Turnplatzes 50 Jahre vorher und die Grundsteinlegung für das Jahndenkmal in der Hasenheide. Die Turnfeste hatten nicht nur einen sportlichen Hintergrund. Im Sinne Turnvater Jahns sollten alle Turner immer nach der Einheit Deutschlands streben. In diesem Sinne war das Deutsche Turnfest auch eine politische Veranstaltung, dieser Aspekt verlor jedoch nach dem Erreichen des Ziels durch die Reichsgründung 1871 an Bedeutung.
In der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) dienten die Deutschen Turnfeste vor allem der politischen Propaganda. 1933 war zunächst der Demokrat Alexander Dominicus als Vorsitzender der Deutschen Turnerschaft (DT) zurückgetreten, die als Dachorganisation für die Ausrichtung der Deutschen Turnfeste fungierte. Daraufhin ernannte sich Edmund Neuendorff zum neuen Führer der DT. Neuendorff versicherte Adolf Hitler in einem Brief vom 16. Mai 1933, „dass die Deutsche Turnerschaft sich unter ihrer Führung Seite an Seite neben SA und Stahlhelm stellt“.[1] Kurz zuvor war von der Hauptausschusssitzung der DT am 8./9. April 1933 ohne Druck seitens der Nationalsozialisten für die Umsetzung bis zum Deutschen Turnfest in Stuttgart im Sommer desselben Jahres beschlossen worden, auf nationalsozialistischen Kurs zu gehen. Eingeführt wurden das Wehrturnen und das Führerprinzip sowie Ausschlüsse, etwa gegen Arbeiter, die in linken Verbünden organisiert waren, ebenso wie explizit rassistisch motivierte Ausschlussmaßnahmen, mit dem Ziel der „Vollarisierung“ (sog. Arierparagraph).[2]
Beim Deutschen Turnfest in Breslau 1938 wurde der Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei PR-wirksam vorbereitet, indem das Propagandaministerium ohne Kenntnis der Öffentlichkeit die Teilnahme von ca. 27.000 Sudetendeutschen mit 1,3 Millionen Reichsmark finanzierte. Als „auslandsdeutsche“ Frauen und Männer, die Hitler ergeben waren, wurde ihre Anwesenheit in die Dramaturgie des Deutschen Turnfestes eingeplant, indem speziell sie als Landsmannschaft medienwirksam in den Fokus gebracht wurden.[3]
Über die Rolle der Deutschen Turnerschaft (DT) und ihr Verhalten vor und während des Deutschen Turnfestes in Stuttgart 1933 wurde Anfang der 1970er Jahre in der Zeitschrift Deutsches Turnen (DT) eine Debatte geführt. Nach der Auffassung von Joseph Göhler, dem früheren Pressewart und stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Turner-Bundes,[4] haben sich die Anhänger der Deutschen Turnerschaft 1933 neutral verhalten.[5] Dem widersprach daraufhin in derselben Zeitschrift Hajo Bernett[6], der sich 1971 in seiner Studie zur Sportpolitik im Dritten Reich kritisch zur Rolle des DT 1933 geäußert hatte.[7]
1990-Gegenwart
Seit dem Turnfest in Berlin 2005 trägt die Großveranstaltung den Titel „Internationales Deutsches Turnfest“ (IDTF), womit deutlich gemacht werden soll, dass auch Teilnehmer aus anderen Ländern zugelassen sind. Das Turnfest 2021 in Leipzig wurde im Spätjahr 2020 aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie abgesagt. Anstelle dessen soll mit „Turnen21“ eine kleinere Multisport-Veranstaltung stattfinden.[8]
Austragungs-Turnus
Von 1898 bis 1983 veranstalteten die Deutsche Turnerschaft und der DTB ihre Feste im Fünf-Jahres-Zyklus, nämlich in den Jahren, die auf drei und acht endeten (außer während der Weltkriege). 1987 wurde das Turnfest für die 750-Jahr-Feier Berlins vorverlegt. Die Veranstaltungen des Arbeiter-Turn- und Sportbundes sowie des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR fanden währenddessen in unregelmäßigen Abständen statt. 1990 stellte der DTB auf einen Vier-Jahres-Rhythmus um. Das turnusmäßig für 2006 vorgesehene Fest in Berlin wurde jedoch mit Rücksicht auf die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land um ein Jahr vorverlegt. Seitdem soll es wieder alle vier Jahre stattfinden.
Bis 1913 nahmen ausschließlich männliche Turner teil.
Jahr
Teilnehmer
davon Aktive
1948
30.000
1953
60.000
20.000
1958
40.000
31.310
1963
40.000
30.000
1968
68.000
1973
75.000
1978
60.000
1983
65.000
1987
120.000
1990
100.000
1994
100.000
1998
100.000
2002
über 80.000
2005
über 100.000
2009
85.000
2013
50.000
2017
über 80.000
Veröffentlichung der Zahlen durch Deutschen Turner-Bund.
Literatur
Michael Krüger: Das Deutsche Turnfest 1933 in Stuttgart. In: Alltags- und regionalhistorische Studien zum Turnen und Sport: Referate zur Frühjahrstagung der dvs-Sektion Sportgeschichte vom 22. bis 25. März 1988 in Freiburg. 1989, S. 111–117.
Rudolf Gasch (Hrsg.): Handbuch des gesamten Turnwesens / und der verwandten Leibesübungen. Wien u. Leipzig (Verlag von A. Pilchers Witwe & Sohn), 1928.
Herbert Neumann (Hrsg.): Deutsche Turnfeste : Spiegelbild der deutschen Turnbewegung. / hrsg. vom Deutschen Turner-Bund [Mit Beitr. von Lutz Alefsen u. a.], Bad Homburg 1985, ISBN 3-7853-1444-2.
Oliver Ohmann: Turnvater Jahn und die Deutschen Turnfeste. Sutton, Erfurt 2008, ISBN 978-3-86680-264-3.
↑Zitiert bei Michael Krüger. Erinnerungskultur im Sport: Vom kritischen Umgang mit Carl Diem, Sepp Herberger und anderen Größen des deutschen Sports. (Voransicht) Münster: LIT-Verlag, 2012, S. 201. ISBN 978-3-643-11677-2.
↑Michael Krüger. Das Deutsche Turnfest 1933 in Stuttgart. In: Alltags- und regionalhistorische Studien zum Turnen und Sport: Referate zur Frühjahrstagung der dvs-Sektion Sportgeschichte vom 22. bis 25. März 1988 in Freiburg. 1989, S. 101–117. Siehe speziell im Abschnitt 1.3.: Das Turnfest im Sog der politischen Ereignisse, S. 108.
↑Hans Joachim Teichler. Internationale Sportpolitik. Schorndorf: Hofmann, 1991, S. 133–135 und S. 210–213, sowie Hartmut Lissinna. Nationale Sportfeste. Mannheim: Palatium-Verlag, 1997, S. 398.
↑Michael Krüger. Das Deutsche Turnfest 1933 in Stuttgart. In: Alltags- und regionalhistorische Studien zum Turnen und Sport: Referate zur Frühjahrstagung der dvs-Sektion Sportgeschichte vom 22. bis 25. März 1988 in Freiburg. 1989, S. 101, Fußnote 1.
↑Joseph Göhler. Gegen Geschichtsklitterung. Wie war das mit dem Turnen 1933? Deutsches Turnen (DT) 16 (1973), S. 335.
↑Hajo Bernett. Stuttgart 1933 – Und kein Ende? Deutsches Turnen (DT) 21 (1973), S. 453.
↑Hajo Bernett. Sportpolitik im Dritten Reich: aus den Akten der Reichskanzlei. Schorndorf bei Stuttgart: Hofmann, 1971.