Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Eremit (Begriffsklärung) aufgeführt.
Ein Eremit (altgriechischἐρημίτηςeremítēs „Wüstenbewohner“, deutsch auch „Einsiedler“; von ἔρημοςérēmos „unbewohnt, Wüste“) ist ein Mensch, der mehr oder weniger abgeschieden von den Menschen lebt (siehe Einsiedelei oder Eremitage).
Ursprünglich wurde der Begriff nur auf Christen angewendet, die geistliche Motive für ihre Zuwendung zu dieser Lebensform hatten, nämlich die Wüstentheologie des Alten Testamentes, das heißt, die vierzigjährige Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten, die eine Herzenswandlung bewirken sollte.
Begriff
Teils wird der Begriff unkritisch auf jeden angewendet, der in Einsamkeit lebt. Im geistlichen Zusammenhang wird er manchmal als bedeutungsgleich mit Anachoret (von altgriechischἀναχωρεῖνanachōreín, „zurückziehen, ins Land (außerhalb der befestigten Stadt) ausziehen“) benutzt, obwohl eine klare Unterscheidung geboten ist.
Eremiten im Christentum
In der frühen Kirche unterschied man allein lebende (Anachoreten) und gemeinschaftlich lebende Eremiten. Aus ihren Einsiedeleien entstanden später oft Ordensgemeinschaften, Klöster oder auch Ortschaften.
Das Eremitentum gehört zu den ältesten Formen gottgeweihten Lebens und ist zugleich die früheste Form des Mönchtums in Europa. In der Regel des heiligen Benedikt (6. Jahrhundert) wird der Eremit als eine der vier Arten von Mönchen angeführt.
Legenden über Eremiten oder Mönche, die weltabgeschieden lebten, enthalten durchaus historisch zutreffende Hintergründe. So wurde ein ägyptischer Mönch namens Apa Bane in seiner Lebensbeschreibung als stets fastend, stehend und nicht schlafend beschrieben. Die in seiner Klosterkirche gefundene Mumie wies die Krankheit Morbus Bechterew auf, eine Erkrankung, die nicht nur gebücktes Gehen bewirkt, wie es noch heutige Ikonen zeigen, sondern auch zu Appetitlosigkeit, Vermeidung des Liegens und Schlaflosigkeit führt – im Prinzip handelt es sich also um einen „wissenschaftlich belegten Asketen“, so der Koptologe Siegfried G. Richter.[1]
Unter den Heiligen sind einige Eremiten, unter anderem der heilige Bruno (der Gründer des Ordens der Kartäuser), Coelestin, Meinrad und Gunther von Niederaltaich. Der heilige Franziskus verknüpfte das eremitische Leben mit der Wanderpredigt und dem Apostolat unter den Menschen („Stille und Stadt“). Ein selbständiger Ordenszweig innerhalb des Franziskanerordens mit gemäßigt eremitischer Prägung sind die Kapuziner.
Eremiten in den Ländern der Habsburgischen Monarchie (18. Jahrhundert)
In den Ländern der Habsburgischen Monarchie wurden die kontemplativen Orden und das Eremitentum unter Kaiser Joseph II. um 1780–1790 aufgehoben, obwohl die Landbevölkerung zu den Einsiedlern hielt und diese erfolglos zu verteidigen versuchte. Viele Eremiten flohen deshalb in die Schweiz.[2]
Schmuckeremiten in England (18./19. Jahrhundert)
Ein Phänomen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts waren die Schmuckeremiten der englischen Landschaftsparks, professionelle Einsiedler, die während einer vertraglich festgelegten Dauer in eigens eingerichteten Eremitagen wohnten und sich zu bestimmten Tageszeiten sehen ließen, um die Eigentümer der Parks und deren Gäste mit ihrem Anblick zu unterhalten.
Hinduismus
Im Hinduismus stellt Einsiedlerei die dritte von vier Lebensstadien dar. Nach Brahmacharya (Jugend) und Grihastha (Erwachsenenleben) folgt Vanaprastha. Sind die ersten beiden Phasen abgeschlossen, zieht sich der Hindu in eine Unterkunft fernab der Gesellschaft zurück. Er ernährt sich von den Früchten, die er dort auffindet, und studiert die heiligen Schriften. Er nennt sich nun Waldeinsiedler, ist nicht mehr Teil der sozialen Gemeinschaft und ihrer Pflichten und vertieft sich in seine spirituelle Erfahrung. Daraufhin folgt noch die vierte Phase: Sannyasin (Wanderasket).[3] Das Leben in der Einsiedelei und das daran anschließende Leben als Sannyasin sollen den erhofften Eintritt in Moksha (Erlösung) vorbereiten.[4]
§ 1: Außer den Instituten des geweihten Lebens anerkennt die Kirche auch das eremitische oder anachoretische Leben, in dem Gläubige durch strengere Trennung von der Welt, in der Stille der Einsamkeit, durch ständiges Beten und Büßen ihr Leben dem Lob Gottes und dem Heil der Welt weihen.
§ 2: Als im geweihten Leben Gott hingegeben wird der Eremit vom Recht anerkannt, wenn er, bekräftigt durch ein Gelübde oder durch eine andere heilige Bindung, sich auf die drei evangelischen Räte öffentlich in die Hand des Diözesanbischofs verpflichtet hat und unter seiner Leitung die ihm eigentümliche Lebensweise wahrt.
Diese Einsiedler werden als Diözesaneremiten bezeichnet. Daneben gibt es Eremiten, die Mitglieder einer Ordensgemeinschaft sind und deren Unterhalt von der Ordensgemeinschaft getragen wird.[5] Die Gesamtzahl der Eremiten in Deutschland wird auf 70 bis 80 Personen geschätzt.[6]
Lupicinus von Condat (Eremit, Klostergründer und Heiliger; * um 400 im Burgund; † um 480 in Saint-Claude)
Familie Lykow (sowjetische Einsiedlerfamilie; * 1944: Tochter Agafja, ?; † 1961: Mutter Akulina, 1988: Vater Karp, 1961–1988: Zwei Söhne, eine Tochter – Tochter Agafja lebt noch (Zeitungsartikel 2018); nach der Februarrevolution)[25]
Anne Bamberg: Eremiten und geweihtes Leben. Zur kanonischen Typologie. In: Geist und Leben. 78, 2005, ISSN0016-5921, S. 313–318, online.
Anne Bamberg: Kirchlich anerkannte Eremiten/innen. Canon 603 des Codex des kanonischen Rechtes und die Verantwortung des Diözesanbischofs. In: Ordenskorrespondenz. 45, 2004, ISSN1867-4291, S. 425–433.
Anne Bamberg: Im Licht von Theologie und Kirchenrecht. Katholische Eremiten und Gehorsam. In: Geist und Leben. 86, 2013, ISSN0016-5921, S. 181–190.
Gabriel Bunge OSB (Hrsg.) Evagrios Pontikos, Der Praktikos (Der Mönch). Hundert Kapitel über das geistliche Leben. 2. verbesserte und vermehrte Auflage. Beuroner Kunstverlag, Beuron 2008, ISBN 978-3-87071-170-2 (Weisungen der Väter 6).
Maria Anna Leenen: Einsam und allein? Eremiten in Deutschland. 3. Auflage. Verlag Aschendorff, Münster 2017, ISBN 978-3-402-00235-3.
Herbert Grundmann: Deutsche Eremiten, Einsiedler und Klausner im Hochmittelalter (10.–12. Jahrhundert). In: Archiv für Kulturgeschichte. Band 45, 1967, S. 60–90.
Maria Anna Leenen: Sich Gott aussetzen und standhalten. Eremitisches Leben heute. Verlag Aschendorff, Münster 2009, ISBN 978-3-402-12811-4.
Maria Anna Leenen (Hrsg.): Eine alte Lebensform in neuem Gewand. Der Canon 603 Codex Iuris Canonici. Aufsätze und Vorträge. Eine Arbeitshilfe. Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2012, ISBN 978-3-88309-696-4.
Fairy von Lilienfeld: Spiritualität des frühen Wüstenmönchtums. Gesammelte Aufsätze 1962–1971. Herausgegeben von Ruth Albrecht und Franziska Müller. Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des Christlichen Ostens, Erlangen 1983, ISBN 3-923119-15-1 (Oikonomia 18).
Dominicus Meier OSB: Die Lebensform der leisen Töne – eremitisches Leben gemäß c. 603 CIC. Erbe und Auftrag. In: Monastische Welt. 86, 2, ISSN0013-9963, S. 201–205.
Thomas Merton: Im Einklang mit sich und der Welt. = Contemplation in a World of Action. Diogenes Verlag, Zürich 1992, ISBN 3-257-22549-0 (Diogenes-Taschenbuch 22549).
Hermann-Josef Sander: Einfachheit und Verzicht als Lebensideal – Auf den Spuren von Einsiedlerpfarrer Bruder Hermann Aufenanger (1901 - 1988). Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2019, ISBN 978-3-95954-082-7.
Catherine Santschi: Eremiten in Tirol und Vorarlberg, Verlag Wenger, Brixen 2010, ISBN 978-88-6563-002-0.
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Eremitisches Leben im deutschsprachigen Raum. Bestandsaufnahme und Perspektiven. (= Arbeitshilfe Nr. 313) Bonn 2020.
M. Antonia Sondermann: Praedicatio silentiosa et ecclesia minor, Eremitisches Leben nach dem geltenden Recht der katholischen Kirche. (= Beihefte zum Münsterschen Kommentar Nr. 68) Ludgerus-Verlag, Münster 2014, ISBN 978-3-87497-282-6.
↑Siegfried G. Richter: Das koptische Ägypten. Schätze im Schatten der Pharaonen. (mit Fotos von Jo Bischof). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-8053-5211-6, S. 67.
↑Catherine Santschi: Eremiten in Tirol und Vorarlberg. Verlag Wenger, Brixen 2010, Seite 7.
↑Christiane Willers: Hinduismus, Buddhismus. BWV Verlag, 2009, ISBN 978-3-8305-1597-5, S.34 (Ansicht in der Google-Buchsuche [abgerufen am 29. Mai 2020]).
↑Pradeep Chakkarath: What can western psychology learn from indigenous psychologies? Lessons from Hindu psychology. In: Wolfgang Friedlmeier, Pradeep Chakkarath, Beate Schwarz (Hrsg.): Culture and human development: The importance of cross-cultural research to the social sciences. Psychology Press, Hove 2005, ISBN 1-84169-568-8, S.31–51.
↑Andreas Fasel: Der lange beschwerliche Weg in die Einsamkeit. In: DIE WELT. 10. Mai 2003 (welt.de [abgerufen am 6. Oktober 2020]).
↑Eremiten in Deutschland, in: „Welt und Umwelt der Bibel“, 2/2011, S. 62, Katholisches Bibelwerk e. V. Stuttgart.
↑Bruno von Köln. In: Ilona Dörr-Wälde. Abgerufen am 25. Mai 2020 (deutsch).
↑Simon Ditchfield: Liturgy, Sanctity and History in Tridentine Italy: Pietro Maria Campi and the Preservation of the Particular. Cambridge University Press, 2002, ISBN 978-0-521-89320-6 (google.de [abgerufen am 25. Mai 2020]).
↑Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen: Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio. Reclam Verlag, 2017, ISBN 978-3-15-961299-7 (google.de [abgerufen am 27. Mai 2020]).