DiodorDiodor (griechisch Διόδωρος ὁ Σικελιώτης Diódōros ho Sikeliṓtēs, latinisiert Diodorus Siculus, „Diodor von Sizilien“) war ein antiker griechischer Geschichtsschreiber des späten Hellenismus. Er lebte in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. LebenÜber Diodors Leben ist wenig bekannt. Er stammte aus der Polis Agyrion auf Sizilien[1] und begab sich nach eigenen Angaben auf viele Reisen.[2] Gesichert ist, dass er längere Zeit in Rom verbrachte, um Quellenstudien für die Abfassung seines Geschichtswerks zu betreiben, sowie dass er in der Zeit der 180. Olympiade (also im Zeitraum 60/59 bis 57/56 v. Chr.) in Ägypten lebte.[3] Er berichtet, dass er 59 v. Chr. während des letztgenannten Aufenthalts eine römische Gesandtschaft, die zu König Ptolemaios XII. gereist war, in Alexandria sah.[4] WerkInhalt, Umfang, StilDiodors auf Griechisch verfasstes Geschichtswerk trägt den Namen Βιβλιοθήκη ἱστορική Bibliothḗkē historikḗ (vollständig: Διοδώρου τοῦ Σικελιώτου Βιβλιοθήκη ἱστορική, lateinisch Diodori Siculi Bibliotheca historica) und ist eine Universalgeschichte in 40 Büchern, von denen uns die Bücher 1–5 sowie 11–20 erhalten sind. Das 17. Buch weist eine große Lücke auf. Die Bücher 6–10 und 21–40 sind nur fragmentarisch überliefert, vor allem durch Zitate byzantinischer Autoren, durch Auszüge in der von Kaiser Konstantin VII. veranlassten Konstantinischen Exzerptensammlung und ab Buch 31 durch Referate des Patriarchen Photios in seiner Bibliothek. Außerdem gab David Höschel 1603 in Augsburg Exzerpte aus den Büchern 21–26 von Diodors Werk nach einer seither verschollenen Handschrift heraus. Die Darstellung reicht von der sagenhaften Vorzeit (wobei er auch mythologische Erzählungen verarbeitete) bis in die Zeit Caesars (wohl bis in das Jahr 60/59 v. Chr., als Caesar das Consulat bekleidete). Es ist damit, soweit man weiß, das umfassendste Geschichtswerk, das von einem Griechen in der Antike verfasst wurde und uns zumindest in Teilen überliefert ist, und bildet zugleich den „Abschluss der hellenistischen Historiographie“ (Klaus Meister). Diodor hat nach eigenen Angaben 30 Jahre lang Reisen und Nachforschungen unternommen. Er griff in seiner Universalgeschichte allerdings ältere Darstellungen auf, schrieb sie um und kürzte sie (beispielsweise fehlen viele Reden, die ansonsten typisch für die antike Geschichtsschreibung sind), so dass sie besser lesbar und für das Publikum leichter zu verstehen waren. Er scheint seine Vorlagen in der Regel also nicht einfach abgeschrieben, sondern in eigenen Worten zusammengefasst zu haben, da sein Werk einen einheitlichen Sprachstil aufweist.[5] Die Qualität von Diodors Angaben schwankt stark, damit ist aber auch sein historischer Wert nicht immer sicher abzuschätzen, da dieser wesentlich von den jeweils benutzten Quellen abhängt. Einige waren aber zweifellos von hoher Qualität, zumal Diodor anscheinend nur einschlägige Werke heranzog. So benutzte er nach vorherrschender Ansicht beispielsweise das sonst bis auf wenige Fragmente verlorene Werk des Hieronymos von Kardia, eine offenbar exzellente Geschichte der Diadochenzeit (siehe unten „Quellen“). Intensiv genutzt wurden von ihm daneben insbesondere Polybios, Timaios von Tauromenion, Poseidonios und Duris von Samos. Diodor nennt seine Quellen relativ oft. Sein Erzählstil ist, wie im Hellenismus üblich, vorattizistisch (weniger ausgeschmückt, insgesamt nüchtern und nicht am attischen Griechisch des 5./4. Jahrhunderts, sondern an der hellenistischen Koine ausgerichtet), weshalb Diodors Stil klar und gut lesbar ist, aber in der Kaiserzeit, als sich ein allgemeiner Attizismus durchsetzte, wenig geschätzt wurde. Es sind mehrere Fehler in seinem Werk ausgemacht worden, so etwa falsche Datierungen oder Namensverwechslungen, die aber wohl wenigstens teilweise auf den benutzten Quellen basieren dürften. Diodor ist den zeitlichen Angaben seiner Vorlagen nicht immer gefolgt, da er eine andere Chronologie nutzte (nach Olympiaden, Archontenjahren und Konsulaten, siehe unten) was zeitliche Ungenauigkeiten zur Folge hatte.[6] Seine selbstverfassten Passagen haben nach traditioneller Einschätzung nur mäßigen literarischen Wert, doch seine Sammlung von direkten Zitaten aus verlorenen Werken ist unschätzbar, da er damit in Teilen die einzige Quelle ist, über die Fragmente dieser Bücher bis heute auf uns gekommen sind. Sehr große Bedeutung kommt ihm als Quelle für den Zeitraum von Philipp II. von Makedonien bis in die Zeit der Diadochen zu (bis 301 v. Chr.), aber auch für große Teile des 5. Jahrhunderts v. Chr., für Sizilien allgemein, teils auch für die römische Zeit. Insgesamt hat das Werk trotz offensichtlicher Mängel (so die recht starke Abhängigkeit von seinen Vorlagen, inhaltliche Fehler oder Ungenauigkeiten) auch unbestreitbare Vorzüge. Daher wird es heute insgesamt erheblich höher geschätzt als in der älteren Forschung. Für viele Ereignisse ist es allein Diodor zu danken, dass überhaupt Berichte vorliegen. Insgesamt erscheint seine leicht lesbare Universalgeschichte als ein beachtenswerter Versuch, die historische Überlieferung bis zum ausgehenden Hellenismus mehr oder weniger einheitlich darzustellen.[7] Erblickte man in Diodor lange Zeit nur einen unkreativen Kompilator, wird seine eigene kreative Leistung heute vielfach teils höher bewertet als früher.[8] Anordnung des MaterialsDie ersten sechs Bücher von Diodors Historischer Bibliothek behandeln die sagenhafte Vorzeit bis vor dem Trojanischen Krieg. Nach der Einleitung, in der Diodor die Nützlichkeit der Geschichtsdarstellung, die belehre und zu guten Taten anrege, hervorhebt, stellt der Autor im ersten Buch die Entstehung der Welt und menschlichen Kultur sowie die Theologie, Sitten, Chorologie und Geschichte des Alten Ägypten dar. Im zweiten Buch bringt er, hauptsächlich nach Ktesias von Knidos, die sagenhafte Geschichte der Assyrer und Meder mit den Hauptgestalten Ninos, Semiramis und Sardanapal, anschließend unter anderem Indien, Skythen, Amazonen und Hyperboreer. Dann geht er im dritten Buch zu einer Beschreibung Äthiopiens über und referiert hier außerdem über die Völker am arabischen Meerbusen, die Amazonen Libyens und die Theologie der Atlantier. Mit rationalistisch-pragmatischer Auslegung der Mythologie widmet er sich im vierten Buch den griechischen Sagen etwa über Dionysos, Herakles, die Argonauten und Theseus. Bei der Stoffanordnung dominiert hier der Standpunkt, eine mythographische Einführung in die Vorgeschichte des Trojanischen Kriegs zu liefern. Diodor geht im fünften Buch, dem sogenannten Inselbuch, auf die Beschreibung westeuropäischer Inseln wie Sizilien, Sardinien und Britannien ein und referiert dann über Gallier und Iberer sowie über die mythische Frühgeschichte griechischer Inseln der Ägäis wie Kreta und Rhodos.[9] Für die nur bruchstückhaft erhaltenen Bücher 6–10 ist keine genaue Angabe der Verteilung der Fragmente auf die einzelnen Bücher möglich. Buch 6 ist jedenfalls das letzte die vortrojanische Zeit behandelnde Buch. Diodor bringt in ihm zunächst auszugsweise den rationalistische Mythendeutung aufweisenden Roman des Euhemeros, sodann die Theogonien von Hesiod, Homer und Orpheus. In den folgenden Büchern berichtet er unter anderem über den Fall Trojas, die römische Königszeit, das Verfassungswerk Lykurgs, die Messenischen Kriege, die Sieben Weisen, den Perserkönig Kyros II., den Lyderkönig Krösus und den Philosophen Pythagoras.[9] Die wiederum nahezu vollständig erhaltenen Bücher 11–20 setzen mit dem Zug des Perserkönigs Xerxes I. gegen Griechenland (480 v. Chr.) ein und reichen bis 302 v. Chr. Hauptschwerpunkte bilden hier die griechische und sizilische Geschichte. Ebenso finden sich kurze Erwähnungen wichtiger Ereignisse aus der Geschichte der älteren Römischen Republik vor dem Pyrrhos-Krieg. Ereignisse der griechischen Geschichte der klassischen Zeit, darunter der Peloponnesische Krieg, werden in den Büchern 11–15 geschildert, woraufhin im 16. Buch die Geschichte König Philipps II. folgt, der die Griechen unter die makedonische Hegemonie brachte. Buch 17 ist seinem Sohn Alexander dem Großen gewidmet. In den Büchern 18–20 schildert Diodor die frühe Diadochengeschichte bis vor der entscheidenden Schlacht bei Ipsos (301 v. Chr.), die Regierung des Tyrannen Agathokles von Syrakus sowie aus der römischen Geschichte den Zweiten Samnitenkrieg und die Zensur des Appius Claudius Caecus.[9] Die Stoffverteilung in den nur fragmentarisch erhaltenen Büchern 21–40 ist nur annähernd bestimmbar, aber sicherer als jene der Bücher 6–10. Zunächst stellt Diodor in den Büchern 21 und 22 die weitere Diadochengeschichte, die späte Regierungszeit des Agathokles, Pyrrhos sowie aus der römischen Geschichte den Dritten Samnitenkrieg dar. Die folgenden beiden Bücher widmen sich dem Ersten Punischen Krieg (264–241 v. Chr.) und weisen eine romfeindliche Tendenz auf. Das 25. Buch behandelt unter anderem den Söldnerkrieg und die karthagische Eroberung Spaniens. Den von Hannibal gegen Rom ausgefochtenen Zweiten Punischen Krieg erzählt Diodor ab Buch 26, und bis einschließlich Buch 30 berichtet er außerdem über die Kämpfe der Römer gegen den Seleukidenkönig Antiochos III. und den Makedonenkönig Perseus bis zur Schlacht von Pydna (168 v. Chr.). In Buch 32 ist vom Numiderkönig Massinissa und dem Usurpator Alexander I. Balas die Rede; wahrscheinlich war darin auch die Zerstörung Karthagos (146 v. Chr.) berichtet. Über die Einnahme von Jerusalem durch Antiochos VII. referiert Diodor in Buch 34, ebenso über den bis 132 v. Chr. dauernden Ersten Sklavenkrieg. Von Ereignissen der Spätzeit der Römischen Republik ist bekannt, dass der Zweite Sklavenkrieg im 36. Buch, der Bundesgenossenkrieg im 37. Buch, der Tod des Konsuls Quintus Lutatius Catulus († 87 v. Chr.) im 38. Buch und der Feldzug des späteren Triumvirn Gnaeus Pompeius Magnus gegen die Juden (64/63 v. Chr.) im 40. Buch dargestellt war. Im Zusammenhang mit dem letztgenannten Vorkommnis ist ein Auszug aus Diodors dabei gegebenem Exkurs über die Juden, für den er Hekataios von Abdera als Gewährsmann heranzog, erhalten.[9] QuellenDiodor benutzte für seine Universalgeschichte zahlreiche, teils verlorene bzw. nur noch fragmentarisch erhaltene Quellen, wobei er sich offenbar in aller Regel an bekannte einschlägige Autoren hielt. Die Identifizierung der einzeln herangezogenen Werke ist recht problematisch, zumal in der älteren Forschung vor allem die „Einquellentheorie“ dominierte. Demnach sei Diodor für jeweils einen Zeitabschnitt einer Quelle gefolgt, die er mehr oder weniger mechanisch in seinem Werk verarbeitet habe. Diese These ist in neuerer Zeit jedoch bestritten worden. So gehen Klaus Meister und andere Forscher davon aus, dass man nicht von einer Hauptquelle, oder vielleicht mehreren Hauptquellen, ausgehen kann, sondern vielmehr von einer Hauptquelle sowie einer oder mehreren Nebenquellen, die die Darstellung ergänzten.[10] Eduard Schwartz, der sich ausführlich mit der Quellenkritik zu Diodor beschäftigt hat, meinte, dass man die Universalgeschichte Diodors nicht als Werk, sondern nur als Kompilation bezeichnen könnte.[11] Auch dieser Aspekt wird heute anders bewertet, da gezeigt werden kann, dass Diodor die Stoffmenge relativ selbstständig bearbeitet hat und damit seinen eigenen Angaben im Proömium des Werkes[12] zufolge das Ziel verfolgte, die Taten aller Menschen in seiner Universalgeschichte darzustellen, die auch den Leser zur Tugend ermahnen sollte. Auch die Tatsache, dass er seine Informationen überwiegend aus älteren Informationen zusammenstellte, scheint er nicht als schweren fachlichen Mangel beurteilt zu haben, sondern als eigenständige historiographische Leistung und als Dienst an seinen Lesern, für die er die Fülle der vorliegenden Geschichtswerke gesichtet und das Relevanteste daraus strukturiert gesammelt habe. Darauf verweist auch der Werktitel Βιβλιοθήκη ἱστορική, „historische Bibliothek“.[13] Diodor zog neben Ktesias von Knidos und Megasthenes für die orientalische bzw. indische Geschichte mehrere andere Spezialautoren heran. Die Chronologie lieferte ihm eine unbekannte griechische Quelle, die die Ereignisse nach Olympiaden und Archontenjahren sowie nach römischen Konsulatsjahren datierte, aber wohl nicht immer sehr genau oder detailliert war, so dass manche chronologischen Fehler auf diesen Umstand zurückgeführt werden können. Für die griechische Geschichte im eigentlichen Sinne benutzte Diodor als Hauptquelle Ephoros von Kyme, der aber durch andere Quellen ergänzt wurde. Für den Westen wurde vor allem Timaios von Tauromenion herangezogen, ergänzt durch Duris von Samos. Es ist sehr unsicher, ob Diodor auch Theopompos benutzt hat, und gänzlich unklar ist, welche (gute) Quellen dem 16. Buch zugrunde liegen. Für die Geschichte Alexanders stützte er sich wohl auf Kleitarchos, den er im betreffenden 17. Buch erwähnt. Der bereits erwähnte Hieronymos von Kardia wurde dann für die nachfolgende Zeit ebenso herangezogen wie auch Polybios und anscheinend lateinische Quellen.[14] Ob Partien über Sizilien auf Silenos von Kaleakte beruhen, ist in der Forschung umstritten, wie die Quellenfrage insgesamt sehr problematisch ist. Die folgende Liste enthält eine (unvollständige) Übersicht über einige der wichtigsten Quellen Diodors mit Angabe des jeweils behandelten Gegenstands. Mehrere Quellen sind jedoch unbekannt bzw. verloren.
Bedeutende Historiker wie Herodot, Thukydides und Xenophon werden von Diodor zwar als Quellen genannt, fanden aber anscheinend nur durch indirekte Vermittlung über andere Autoren Eingang in sein Werk, wobei wohl Ephoros die wichtigste Rolle spielte. Textausgaben
Übersetzungen
LiteraturÜbersichtsdarstellungen in Handbüchern
Untersuchungen
WeblinksWikisource: Διόδωρος Σικελιώτης – Quellen und Volltexte (griechisch)
Wikisource: Diodor – Quellen und Volltexte
Wikiquote: Diodor – Zitate
Anmerkungen
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